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Die rote Halle

Die rote Halle

Titel: Die rote Halle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karla Schmidt
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Gefühl, dass der Tunnel
einen gigantischen Kreis beschrieb und dass alle Ausgänge sich in dem Moment in
Luft auflösten, in dem ein Mensch das System betrat. Vielleicht hatten die
Nazis eine abgedrehte Technologie zur Raumkrümmung oder so was entwickelt.
Angeblich hatten die doch auch Ufos gebaut.
    In der Einbuchtung fand Simon hinter einem Gewirr von Rohren eine
Leiter, die noch weiter hinabführte, und einen ganz normalen, modernen
Lichtschalter, der die Dunkelheit am Fuß der Leiter in weiß getünchte
Sichtbetonwände verwandelte.
    Hier unten war es wieder kühler, und Simon atmete erleichtert die
feuchte Luft ein. Er stand in einem breiten Flur, von dem mehrere dunkelgrau
lackierte Stahltüren abgingen. Dort, wo bei manchen Wohnungstüren ein Spion
ist, war hier ein kleines, rundes Gitter eingelassen. Ob das zur Belüftung
diente?
    Natürlich waren die Türen alle verschlossen. Aber Simon entdeckte
eine Reihe schwarz markierter Schlüssel an seinem Schlüsselbund, und als er sie
der Reihe nach ausprobierte, fand er einen, der passte. Hinter der Tür fand
sich ein weiterer Raum mit ebensolchen Türen, und eine Tür rechts war nur
angelehnt. Obwohl Simon das Gefühl beschlich, dass er auf dem besten Wege war,
sich zu verirren, obwohl ein Blick auf sein Handy ihm zeigte, dass er hier
unten keinen Empfang hatte, beschloss er, weiterzumachen. Was sollte schon
passieren? Er hatte sämtliche Schlüssel, und einen Weg hinaus würde er immer
finden.
    Hinter der Tür fanden sich nacheinander drei leere, gleich große
Räume mit makellos weiß getünchten Wänden. Das Licht war beinahe schmerzhaft
grell. Simon begann zu frösteln, obwohl es oben Sommer war.
    Im letzten Raum gab es ganz hinten an der Wand eine abgeteilte
Kabine mit einer schäbigen Holztür, in der linken Wand war ein Gitter
eingelassen, durch das Simon einen Luftzug spürte. Er ging hinüber, das Gitter
ließ sich aufklappen. Als Simon den Kopf in den kaum einen Quadratmeter großen
Raum dahinter steckte und den Blick nach oben wandte, sah er, dass in
gleichmäßigen Abständen rostige Metallkrampen in die Wand eingelassen waren.
Ein Notausgang, eine Art Feuerleiter, die sich einige Meter über ihm in
fensterloser Schwärze verlor.
    Der Gedanke, dass Tonnen von Beton, ganze Stapel von Gängen, Räumen
und Treppen über ihm waren, erzeugte ein beklemmendes Gefühl zwischen seinen
Schulterblättern. Simon zog unwillkürlich den Kopf ein. Das hier könnte auch
eine Gruft sein, eine Totenkammer in einer ägyptischen Pyramide. Simon ließ das
Gitter offen stehen, um das Gefühl des Eingeschlossenseins ein wenig zu
mildern. Dann ging er hinüber zu der Holztür. Nur kurz hineinsehen, und dann
schnell wieder nach oben, wieder Tageslicht sehen.
    Er begriff nicht sofort, was er sah. Er stolperte rückwärts,
unterdrückte einen Schrei.
    Vor ihm saß jemand mit heruntergelassener Hose auf einem Eimer, der
Blick glasig. Das war der blonde Junge.
    Als er merkte, dass Simon ihn nicht angreifen würde, wandte er den
Blick ab, spreizte die nackten Beine ein wenig und drückte sich den Inhalt
einer Spritze in die Innenseite seines Schenkels.
    Simon konnte nicht wegsehen, obwohl ihm bei dem Anblick schlecht
wurde. Der Junge blieb einfach sitzen, mit hängendem Kopf, und wartete. Um
seine Füße herum lagen Geldscheine verstreut. Lauter Hunderter und Fünfziger.
    Simon zog sich vorsichtig zurück. Er wollte hier raus. Bevor der
Junge ihn noch einmal ansah. Bevor er aufstand, mit runtergelassenen Hosen,
bevor er auf ihn zuwankte wie ein Zombie, ihn vielleicht angriff. Ihn vielleicht
mit seiner Spritze angriff und ihn ansteckte, und dann würde er auch zum
Drogenzombie. Er musste weg, er musste Erwachsene holen!
    Als der Junge aufstand, waren seine Bewegungen überraschend flink.
Er zog die Hose hoch, stopfte die vielen Geldscheine in die Taschen seiner
roten Bomberjacke, ging, ohne Simon eines Blickes zu würdigen, hinüber zum Notschacht,
stieg hinein und war weg.
    Simon konnte ihn hören, das Klingen der Eisenstufen unter seinen
Schuhen, das Schaben seiner Jacke an den Betonwänden. Die Geräusche wurden
leiser, entfernten sich, dann war gar nichts mehr zu hören.
    Simon brauchte noch eine Minute oder länger, bis er den Entschluss
fassen konnte. Er wünschte, er hätte eine Taschenlampe, und nahm sich vor, sich
eine zu

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