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Die rote Halle

Die rote Halle

Titel: Die rote Halle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karla Schmidt
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retten.
    Neben ihm steht eine sehr junge Frau, schwarze, hoch aufgetürmte
Locken, Rokokokleid, niedliche Grübchen in den Wangen. Das ist sie selbst.
Nicht die Cenerentola, sondern nur ein Mädchen beim Ball.
    Â»Ach was, fame«, sagt er, winkt ab, legt den Kopf schief, kokett. Er
erinnert sie an Charlie Chaplin, wenn er mit einem hübschen Mädchen flirtet und
dabei selbst zum Mädchen wird.
    Â»Du kannst mir gerne welchen abgeben«, sagt das Tanzmädchen.
    Â»Wenn du wüsstest, wie langweilig Ruhm ist. Wenn du berühmt bist,
bist du dein eigener Gefangener. Du weißt nie, wer ein Freund ist und wer
nicht. Jeder, den du kennenlernst, will etwas von dir. Vorteile, Geld, Glanz,
Kinder, dich retten. Bleib lieber im Mittelfeld. Das ist in jeder Hinsicht
gesünder.«
    Das bringt das Tanzmädchen auf eine Idee. Sie legt den Unterarm über
die Stirn, schwankt, sinkt zur Seite um. Sehr gekonnt. Dave fängt sie auf, ihr
Gesicht ist ganz dicht bei seinem.
    Â»Heiraten Sie mich, Dave«, haucht sie. »Heute. Jetzt!«
    Dann stellt sie sich wieder auf die eigenen Füße, wie eine
Marionette, die man an ihren Fäden hochzieht. Auch sehr gekonnt. Sie schaut ihn
herausfordernd an mit ihrem Grübchenlächeln, sieht das Entsetzen in seinen
Augen, das sich in Verstehen und dann in Anerkennung verwandelt.
    Â»Du bist drauf reingefallen, oder?«
    Wieder dieses übermäßig strahlende Lächeln. »Ich falle niemals auf
etwas herein, lassen Sie sich das gesagt sein, Mademoiselle.«
    DeeDee lässt die Grübchen verschwinden. »Wenn Sie mich nicht
heiraten, mein Herr, werde ich mir etwas antun!«
    Dave lacht. Soll er. Er wird sich noch wundern.
    Im nächsten Moment steht sie auf der steinernen Balustrade. Die
Spree fließt eisgrau zwischen den klassizistischen Bauten links und rechts hindurch,
mehrere Meter unter ihr. Sie lässt ein Bein über dem Abgrund baumeln,
balanciert, nanu, stolpert ein wenig. Dave lacht immer noch. Dann steht sie am
Rand der Balustrade, das Gesicht dem Wasser zugewandt. Schwankend.
    Â»Heiratest du mich?«
    Sie hat das ganz leise gesagt, aber sie weiß, dass er es gehört hat,
spürt es, ohne hinzusehen.
    Dave schweigt. Dann ist er bei ihr. Hilft ihr herunter. Er lächelt
nicht mehr. DeeDee zuckt die Achseln.
    Â»Wer will heutzutage schon heiraten?«, sagt sie leichthin. »Was ich
wirklich will, ist eine Hauptrolle. An deiner Seite.«
    Er lächelt wieder, diesmal aber nicht mehr so strahlend, diesmal
ernst. »Dein Ehrgeiz in allen Ehren. Aber du bist noch sehr jung, und deine
Technik ist …«
    Â»Ich werde üben!«
    Â»Sicher. Nur bin ich kein Choreograph oder Regisseur.«
    Â»Du hast dir Marianna für die Cenerentola auch selbst ausgesucht.«
    Und dann hält das süße Tanzmädchen ein Messer in der Hand, lächelt.
Was in den geheimen Falten und Taschen eines Rokokokleides nicht alles einen
Platz findet.
    Â»Versprich es.«
    Â»DeeDee, das ist Unsinn, ich kann so etwas nicht versprechen.«
    Â»Du willst mich doch nicht enttäuschen? Versprich es!«
    Noch lacht er. Aber gleich wird er Augen machen.
    Sie drückt sich das Messer durch das Kostüm hindurch in den Arm,
nicht tief, aber tief genug, dass Blut den weißen Stoff färbt.
    Â»Versprich es.«
    Er, plötzlich bleich.
    Ihr Blick, ihre Stimme, vollkommen ruhig.
    Â»Ich verlange nicht viel. Du sollst mir keine Kinder machen, dein
Herz darf gerne bei dir bleiben. Ich will nur meine Chance als Tänzerin. Das
oder ein kleiner Skandal.«
    Dave wischt sich mit der Hand durchs Gesicht. »DeeDee, na gut, lass
uns darüber reden. Aber lass diesen Mist.«
    Â»Sag es!«
    Sie treibt das Messer noch ein wenig weiter, atmet den Schmerz weg.
    Â»Okay. Warte. Okay. Eines Tages, wenn du dich weiterentwickelt hast.
Ich sorg dafür. Aber du musst sehr hart arbeiten.«
    Â»Versprochen?«
    Â»Sehe ich aus, als ob ich lügen könnte?«
    Seine weiße Haut passt gut zu dem Blut, das warm ihren Arm
entlangläuft. Sie hätte nichts dagegen, wenn er es von ihrer Haut lecken würde.
Der Gedanke erregt sie. Aber sie will ihn nicht überfordern. Sie wartet, drückt
das Messer noch ein wenig tiefer ins Fleisch.
    Â»Okay. Gut. Versprochen.«
    DeeDee wischt das Messer an einem Spitzentüchlein ab, das sie aus
ihrem Ausschnitt zieht.
    Â»Ich nehme dich beim Wort. Ich vergesse es

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