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Die Rote Spur Des Zorns

Die Rote Spur Des Zorns

Titel: Die Rote Spur Des Zorns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Spencer-Fleming
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nachgegeben. So musste sie die Sachen während der Party nicht ständig im Auge behalten. Sie ließ sich auf den Fahrersitz sinken, der sich an ihrer Haut warm und klebrig anfühlte. Jetzt hatte sie noch weniger Sachen im Auge zu behalten, dachte sie, während sie ihre nackten Fußsohlen aneinander rieb. Sie beugte sich nach vorne, schlug ihre Hände vors Gesicht und ergab sich zähneklappernd, wimmernd, fröstelnd dem Zittern, das ihr im Leibe steckte. Danach ging es ihr schon besser. Sie rieb sich das Gesicht, und im selben Moment fiel ihr ein, dass sie ja Make-up aufgetragen hatte.
    Sie kramte in ihrer Handtasche nach dem beleuchteten Schminkdöschen, das ihre Schwester Grace ihr vor Jahren geschenkt hatte. Im Schein des winzigen Lichts begutachtete sie den Schaden. Ihr Lippenstift war längst abgewischt, ihre Haut fleckig, Lidschatten und Wimperntusche verschmiert. Sie öffnete ihr Handschuhfach und holte eines der luftdicht verpackten Erfrischungstücher heraus, die sie dort aufbewahrte – eine Angewohnheit, die Clare über all die Jahre von ihrer Mutter übernommen hatte. Nach der Säuberung ihres Gesichts inspizierte sie im Licht des Schminkdöschens auch den Rest ihres Äußeren: Es war noch schlimmer als erwartet. Ihr Jackett klaffte dort, wo die Knöpfe fehlten, auseinander, ihr eleganter Hosenanzug war zerknittert, das eine Bein mit einem undefinierbaren Schmutz beschmiert – dem Geruch nach etwas, das sie sich bei ihrem Sturz gegen die Mülltonne eingehandelt hatte.
    Clare klappte das Döschen wieder zu und schloss ihre Augen. Egal, wie unhöflich es war, sie würde nicht auf die Party zurückkehren. Zum Fahren mochte sie zu betrunken sein, aber sie war bestimmt nicht so alkoholisiert, um in diesem Zustand unter die Leute zu gehen. Sie könnte sich ja so lange im Wagen verstecken, bis der Alkohol abgebaut war; dann würde sie nach Hause fahren. Und morgen riefe sie Russ an, um ihm zu berichten, dass –
    Sie riss die Augen auf. Russ! Heiliger Strohsack, der musste unbedingt von Malcolms kleinen Geschäften erfahren. Und auch, dass Bill Ingrahams ehemaliger Freund weit mehr über den Mord zu wissen schien, als in der Zeitung stand. Während Clare ihr Täschchen nach dem Handy durchstöberte, ließ sie die Stimme ihrer Großmutter – Keine Lady würde je nach zweiundzwanzig Uhr anrufen –, betäubt von Erschöpftheit, Erleichterung und sieben Kir royals, an sich vorbeirauschen.
    Beim Drücken der letzten Taste flackerte Panik in ihr auf. Wenn nun Russ nicht selbst dranging, sondern seine Frau? Das Freizeichen. Ein Mal. Zwei Mal. Clare drückte auf »Aus« und sackte in ihren Sitz zurück. Feigling. Und dann erinnerte sie sich: Freitag; Abendessen bei seiner Mutter. Vielleicht war er ja noch dort. Sie ließ sich von der Auskunft die Nummer geben, wählte und hoffte aller Wahrscheinlichkeit zum Trotz, sie werde Margy Van Alstyne nicht aus dem Schlaf holen.
    »Ja bitte?«
    Margys Stimme klang energisch und trocken. Clare machte erleichtert die Augen zu.
    »Mrs. Van Alstyne? Margy? Hier Clare Fergusson.«
    »Clare Fergusson. Na, dann will ich auch mal da sein. Was kann ich zu so später Stunde für Sie tun?«
    Siehst du?, sagte ihre Großmutter. Anrufe nach zweiundzwanzig Uhr sind aufdringlich. Clare unterdrückte ihren Impuls, eine Entschuldigung zu murmeln und aufzulegen. »Mir fiel nur gerade ein … ich muss unbedingt mit Russ sprechen. Er wollte doch heute Abend zu Ihnen fahren. Ist er noch da?«
    »Ja, ist er.« Es klang, als hielten Margy Van Alstyne nur ihre guten Manieren davon ab, zu fragen, warum die Oberhirtin von St. Alban’s Freitagabend um halb elf ihren Sohn verlangte.
    »Es geht um eine dienstliche Angelegenheit«, versicherte Clare.
    »Na, meine ist es jedenfalls nicht. Augenblick, ich gebe Sie weiter. Da ist er.«

25
    R uss hatte von der uralten Fernsehliege seiner Mutter aus zugeschaut, wie Roger Clemens von Seiten der Angels in die Zange genommen wurde. Er war um einiges länger geblieben, als es dauerte, ein paar Verandabretter zu ersetzen und zu Abend zu essen. Er genoss die gemütliche Vertrautheit eines Hauses, wo niemand je etwas umstellte oder neu tapezierte und wo die Wände seit dem Einzug seiner Mutter vor einem Vierteljahrhundert die gleiche Farbe trugen.
    Clemens hatte die letzten beiden Male fünf Runs aufgegeben, und die Yankees gingen jetzt hart ran. Der Trainer, Mel Stottlemyre, marschierte zu dem Hügel vor. »Schmeiß ihn schon raus«, sagte Russ. »So was brächte

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