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Die Rote Spur Des Zorns

Die Rote Spur Des Zorns

Titel: Die Rote Spur Des Zorns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Spencer-Fleming
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zweierlei wahr: den sauren Geschmack in seinem Mund und das kalte Wasser, das ihm über Kopf und Schultern strömte.
    Er hörte ein mitleidiges Gemurmel, spürte, wie ihm der schwere Rucksack abgenommen und die Träger über die Arme gezerrt wurden. Ihm taten die Rippen weh, seine Knie pochten, und der gemächliche Wind, der über ihn hinwegblies, fühlte sich an wie Hitzewellen aus einer Ofenklappe. Das Feuer. Die Explosion. Der Absturz. Sein Magen krampfte sich erneut zusammen, um auch noch die letzten Galletröpfchen herauszupressen.
    »Waschen Sie sich damit den Mund aus.« Clare. Sie hatte sich über ihn gebeugt. Wasser strömte aus ihren hohlen Händen. Er nahm einen Schluck, spülte damit seinen Mund und spuckte das Wasser wieder aus.
    »Mehr«, gelang es ihm zu sagen. Sie brachte ihm erneut eine Hand voll Wasser, er gurgelte damit und spuckte es dann ebenfalls aus. Sie wischte ihm das Gesicht ab.
    »Tut mir leid.« Russ setzte sich auf seine Fersen.
    »Ziehen Sie Ihr Hemd aus, damit ich es im Bach nass machen kann. Dann geht’s Ihnen gleich besser.« Ihr nüchternes, praktisches Verhalten half ihm über die Peinlichkeit hinweg, dass er sein Mittagessen erbrochen hatte. Er zog sich das stinkende, schweißdurchtränkte Kleidungsstück vom Leib, und als sie es ihm zurückbrachte, rieb er sich vor dem Anziehen mit dem nassen Stoff über Gesicht, Hals und Haare. Im ersten Moment empfand er die Kälte auf seiner Haut als Schock, nach und nach aber gewöhnte er sich daran. Sie schützte gegen die Hitze, die ihm überall entgegenschlug, und ließ ihn wieder freier atmen. Er sank in den Farn zurück, während Clare im Schneidersitz neben ihm Platz nahm. Sie streckte ihren Arm aus und begann seine feuchten Haare nach hinten zu streichen. Ihre Hand fühlte sich kühl und fest an – eine Berührung, die Russ’ inneren Knoten zum Platzen brachte, sodass er dalag wie ein aufgeschnürtes Paket. Er schloss die Augen.
    »Wir sind ins zentrale Hochland geflogen. Es war heiß. Starke Vietkong-Aktivität in diesem Gebiet, und die Artillerieeinheiten hielten es Tag und Nacht unter Beschuss, damit die Hubschrauber landen und die Bodentruppen einen Verteidigungsgürtel aufbauen könnten. Wir sitzen also in der Maschine, ich, mein Freund Mac, ’ne Hand voll andere und unser Lieutenant.« Er schlug die Augen auf und sah in das Laubdach über ihm. »Wir haben ein bisschen rumgeblödelt, uns hochgeputscht, weil wir davon ausgingen, wir würden mitten in ein Feuergefecht reinfallen. Da trifft uns urplötzlich ein Geschoss. Der Hubschrauber beginnt abzustürzen. Der Pilot schreit: ›Springt! Springt!‹, während das ganze Ding bockt wie ein störrisches Pferd, und wir alle zittern um unser Leben. Durch die Tür konnte ich sehen, dass wir nicht allzu hoch über den Bäumen waren. Der Lieutenant brüllt: ›Los, vorwärts!‹, und ich und Mac stehen auf, aber die anderen drei schreien, in diesen Scheiß-Dschungel springen sie ums Verrecken nicht, nie und nimmer. Der Pilot kreischt weiter: ›Springt! Springt!‹, und ich schaue zu Mac. Der zuckt nur mit den Schultern. Der Lieutenant sieht das, und er knallt mir seine Pistole in die Hand und schreit: ›Los, springt um euer Leben!‹, als würde er bei den anderen bleiben, um ihnen noch beizustehen. Mann, dabei kam es auf die Sekunde an! Also sind wir gesprungen. Mac und ich.«
    Er warf Clare einen Blick zu. Sie saß ganz still da und sah nicht ihn direkt an, sondern an ihm vorbei auf das Farnkraut. Es schien, als hätte sie es noch nie gesehen. Ohne den Blick abzuwenden, nickte sie mit dem Kopf.
    »Ich bin mitten durch ein paar Bäume nach unten geprasselt, und als Nächstes erinnere ich mich nur, dass ich am Boden liege. Mir ist sofort klar, dass ich mir beide Beine gebrochen habe, und ich sehe mich nach Mac um, da wird der Himmel auf einmal strahlend hell. Der Hubschrauber ist abgestürzt und explodiert. Es war so viel Lärm, aber trotzdem hab ich sie hören können – wie sie schreien und schreien, die Typen, wie eingesperrte Tiere in einer brennenden Scheune.« Er hielt einen Moment inne. »Und dann höre ich Mac. Über mir. Er schluchzt und stöhnt irgendwie. Und eine Weile konnte ich im Licht von dem Feuer sehen, was mit ihm passiert war.« Er schwieg einen Moment. »Ich weiß nicht, wie lange es gedauert hat. In der Erinnerung ist es wie eine Stunde, aber das kann nicht sein. Mac hing dort in dem Baum und schluchzt immer wieder: ›Erschieß mich, um Himmels willen, erschieß

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