Die roten Blüten der Sehnsucht
den Häuptling wohlwollend, wenn auch ohne jeglichen Respekt. » Lange nicht gesehen. Lust auf Rührei und Schinken, George?«
» O ja!« Er strahlte über das ganze Gesicht, während er seinen Opossumfellmantel achtlos zu Boden rutschen ließ. Darunter kamen zerschlissene, dreckstarrende Breeches zum Vorschein und ein ehemals weißes Hemd in ähnlich trauriger Verfassung. » An meinen Küchentisch setzen sich keine nackten Männer!«, hatte Mrs. Perkins ganz am Anfang ihrer Bekanntschaft klargestellt. Der Häuptling hatte in der Erwartung, dass diese unverschämte Frau augenblicklich von ihrem Besitzer gezüchtigt werden würde, Robert Masters angesehen. Doch der hatte nur den Kopf eingezogen und gemurmelt: » Natürlich.– Komm, George, ich gebe dir etwas zum Anziehen.« Seit diesem Erlebnis, das sein Weltbild schwer erschüttert hatte, war King George der Köchin immer nur mit höchstem Respekt entgegengetreten. Ein Verhalten, das sich für ihn auszahlte.
Geschäftig machte Mrs. Perkins sich daran, ein halbes Dutzend Eier in die gusseiserne Pfanne zu schlagen und großzügige Scheiben von dem Schinken abzuschneiden, der gestern erst geliefert worden war. King George saß zufrieden auf der Holzbank, den Rücken an die Wand dahinter gelehnt, und wartete geduldig auf sein Essen. Er machte nicht den Eindruck eines Menschen, der etwas Bestimmtes vorhat. Andererseits überquerte man zu dieser Jahreszeit den gefährlich angeschwollenen Fluss nicht ohne Not. Überhaupt: Was wollte er eigentlich? Es war eine ungewöhnliche Visite, denn das Schaf und die übrigen Vorräte hatten in den letzten Monaten immer der finstere Worammo und ein paar kräftige Begleiter abgeholt. Aus Erfahrung wusste sie, dass Nachfragen keinen Sinn hatte. King George würde erst reden, wenn er so weit war.
» Einen Becher Tee?« Dorothea wartete seine Antwort nicht ab, sondern goss einen der dunkelblau glasierten Teebecher dreiviertel voll und schob ihn ihm samt der Schale mit den Zuckerbrocken über den Tisch. Der alte Aborigine liebte seinen Tee süß. Sehr süß. Auch jetzt warf er so viele Brocken in die braune Flüssigkeit, bis der Becher randvoll war, und begann genüsslich die heiße Flüssigkeit zu schlürfen.
Während Dorothea ungeduldig darauf wartete, dass er endlich mit dem Anlass seines Besuchs herausrücken würde, fiel ihr Blick auf einen bekannten Leinensack auf dem Fensterbrett: Heathers Proviantbeutel. Seine gewölbte Form verriet, dass er bereits reichlich gefüllt war. » Was hat Heather denn vor? Die Männer sind doch schon längst losgeritten.« Wann immer sich die Gelegenheit bot, schloss Heather sich Ian und John an. Je weiter der Ritt, desto besser. Dorothea wäre es lieber gewesen, ihre Stieftochter hätte Gefallen an weiblicheren Beschäftigungen gefunden. Junge Damen, die dem Schulzimmer entwachsen waren, verbrachten üblicherweise ihre Tage mit Stick- oder Näharbeiten. Malten vielleicht mit Wasserfarben oder malträtierten ein Pianoforte. Es war den besonderen Umständen auf Eden House zuzuschreiben, dass Heathers Freiheit kaum beschnitten wurde. Gelegentlich plagte Dorothea das schlechte Gewissen, und sie nahm einen sporadischen Anlauf, ihre Stieftochter zu einem damenhafteren Verhalten zu ermahnen. Es endete immer damit, dass Heather Besserung gelobte, sobald das Fohlen auf der Welt wäre, der neue Wallach zugeritten oder sonst etwas, das einem sofortigen Wechsel zu Unterröcken im Wege stand.
Die Köchin zuckte nur stumm mit den Schultern, während sie geschäftig in der Pfanne mit den Eiern rührte. Es hatte keinen Sinn, in sie zu dringen. Sie würde nichts verraten. Für sie war Heather immer noch das arme, mutterlose Kind, dem sie keinen Wunsch abschlagen konnte.
King George hatte den Becher geleert und klopfte leicht damit auf die Tischplatte, um kundzutun, dass er einen zweiten wünschte. Dorothea schenkte ihm nach und wartete mit schlecht verhüllter Ungeduld, bis er seine Riesenportion Eier und Schinken in sich hineingeschaufelt hatte. Mrs. Perkins schien sich mit ihm verschworen zu haben. Kaum hatte er den ersten Gang beendet, tischte sie ihm noch ein großes Stück Hammelpastete sowie einen Teller Mandelmakronen auf. Alles verschwand bis auf den letzten Krümel hinter King Georges weißen Zähnen. Offenbar war sein Appetit wiederhergestellt. Schließlich rülpste er laut und lehnte sich zufrieden zurück.
» Wenn der Mond das nächste Mal voll ist, werden wir ein palti abhalten«, verkündete er
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