Die roten Blüten der Sehnsucht
verschwenderische Fülle der Kerzen, den überfüllten Tanzsaal, in dem Ian sie über das Parkett gewirbelt hatte. Wenn sie nicht mit Robert verheiratet gewesen wäre, wäre es ein vollkommener Abend gewesen.
Dorothea zwang sich, die aufsteigenden Erinnerungen wieder zu verdrängen. Catriona beobachtete sie scharf, und sie wollte ihr keinen Anlass zu bohrenden Fragen geben.
Es war leichter gewesen als gedacht, ihr tagsüber aus dem Weg zu gehen. Catriona hatte keine weiteren Anstalten gemacht, ihre Gesellschaft zu suchen, und sie war ihr geradezu dankbar dafür. Vielleicht würde es doch nicht so schlimm werden wie befürchtet. Die Unterhaltung hatte sich inzwischen Embersleigh und seinen Bewohnern zugewandt. Offenbar hatte die Aussicht auf eine baldige Rückkehr nach England in den beiden Erinnerungen an die dort verbrachte Kindheit geweckt.
» Weißt du noch, wie du unbedingt lernen wolltest, Fische mit der Hand zu fangen, Percy? Aber da er ja nicht schwimmen konnte, hat er an Onkels Goldfischen geübt.– Kannst du Fische mit der Hand fangen, Ian?« Catriona lächelte.
» Natürlich.« Ian sah von seinem Roastbeef auf. » Das gehörte zeitweise zu meinen Aufgaben. Und wenn es nicht genug waren, bekam ich Prügel. So etwas spornt an!«
Alle schwiegen betroffen. Ians Kindheit und die der Grenfells hätten unterschiedlicher nicht sein können.
» Ich bin schon sehr gespannt auf Embersleigh«, sagte Ian in dem Versuch, das Gespräch wieder in Gang zu bringen. » Wie gut, dass ihr so nah wohnt. Da können wir uns so häufig sehen, wie wir wollen. Ihr bewohnt den alten Witwensitz, nicht wahr?«
Catriona und Percy sahen sich an. Es war ein Blick, den Dorothea nicht deuten konnte.
» So ist es, Cousin. Ich hoffe, du wirst uns nicht hinaussetzen?« Percy lachte, aber es war ein Lachen ohne echte Heiterkeit.
» Um Himmels willen, nein«, wehrte Ian entsetzt ab. » Ich werde euch doch nicht aus eurem Zuhause vertreiben. Und natürlich wird euch auch immer das Herrenhaus offen stehen.«
» Danke. Du bist sehr großzügig.« Catriona hob ihr Glas und trank ihm zu. » Auf den zukünftigen Herrn von Embersleigh!«
Dorothea fiel auf, dass sie deutlich mehr trank als gewöhnlich. Auch Percy ließ keine Gelegenheit aus, einen Toast auszubringen. War es die Erleichterung über Ians Zusage? Oder hatten sie mehr erwartet? Etwa, dass er ihnen anbieten würde, ins Haupthaus zu ziehen? Das hatten sie ja fast schon als ihr Eigentum betrachtet. Es musste hart sein, schon wieder von der Gnade eines Verwandten abhängig zu sein. Besonders, wenn man sich schon selbst als zukünftigen Herrn von Embersleigh gesehen hatte.
Tranken sie deshalb so viel? Weil es ihnen in ihrem Innersten schwerfiel, Ian zu schmeicheln? Denn das taten sie ausgiebig.
Dorothea empfand plötzlich einen überwältigenden Widerwillen gegen das Paar. » Ich bin auf einmal so schrecklich müde«, sagte sie und unterdrückte ostentativ ein Gähnen. » Ich werde wohl besser zu Bett gehen. Gute Nacht.«
» Geht es dir gut?« Catriona erhob sich halb und sah sie fragend an. » Soll ich dich auf dein Zimmer begleiten?«
» Nein, nein, bleib du nur sitzen. Ich habe mich den ganzen Tag schon nicht so gut gefühlt«, log Dorothea. » Vermutlich die Aufregung um Lady Chatwick. Morgen geht es mir sicher besser.«
» Aber du bleibst doch noch, Ian?« Percy hob auffordernd die Kelle. » Komm, sag ja, Mann. Ich wollte dir doch noch die Geschichte erzählen, wie Cat und ich fast die Speisekammer in Schutt und Asche gelegt haben.« Seine Aussprache war leicht unscharf, sonst wies nichts darauf hin, dass er zu viel getrunken hatte. Zu ihrer Verwunderung fühlte Dorothea sich mindestens so schwindlig wie damals beim Maskenball. Dabei hatte sie doch höchstens zwei Glas von dem Punsch getrunken! Offensichtlich hatten die Leute recht, die vor diesem Getränk warnten. August hatte immer behauptet, nichts würde einen solchen Brummschädel nach sich ziehen wie ein indischer Punsch. Und damals war es ihr auch am nächsten Tag richtig schlecht gegangen.
Die Treppenstufen schienen zu schwanken wie Schiffsplanken bei stürmischer See. Dorothea packte in letzter Sekunde den Handlauf. Nur gut, dass sie vergessen hatte, eine der am Fuß der Treppe bereitstehenden Petroleumlampen zu entzünden. Sie unterdrückte ein Kichern. Mrs. Perkins würde schön schimpfen, wenn sie sie so sähe! Unter leisem Kichern tastete sie sich den Flur entlang zur Schlafzimmertür und schaffte es nach
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