Die roten Blüten der Sehnsucht
gelaufen, als ich meinen Vater ins Schloss begleiten durfte. Ich vertrieb mir die Wartezeit im Rosengarten, und da stand ich plötzlich vor ihr. Sie trug einen Weidenkorb voller Rosenblüten über dem Arm und war so wunderschön, dass ich sie für eine Fee hielt. Das fand sie sehr lustig, und so bekam ich statt einer Standpauke warme Milch und Mandelmakronen in der Küche.– Ich sehe sie immer noch vor mir.« Sein geradezu andächtiger Gesichtsausdruck spiegelte wider, wie kostbar ihm diese Erinnerung war.
Dass ein so nüchterner Zeitgenosse wie der Anwalt von Ians Mutter dermaßen beeindruckt worden war! Sie muss eine außergewöhnliche Frau gewesen sein, dachte Dorothea. Wie schade, dass sie nicht mehr erleben durfte, dass der verloren geglaubte Sohn doch noch lebte. Aber wenigstens der Vater.
» Wie ist mein Vater eigentlich so?«, kam Ian ihrer Frage um Haaresbreite zuvor. Allmählich schien er sich damit abzufinden, dass er nun eine Herkunftsfamilie hatte.
» Onkel Hugh?« Percy und Catriona sahen sich an und schienen sich gegenseitig den Vortritt lassen zu wollen.
» Der Earl of Embersleigh ist ein sehr angesehener Friedensrichter und genießt bei seinen Pächtern außerordentliche Beliebtheit«, antwortete schließlich Andrew Billingsworth gespreizt. » Seine Ländereien werden vorbildlich verwaltet. Ansonsten lebt er sehr zurückgezogen.«
» Ich glaube, das war nicht ganz das, was Ian wissen wollte, Billingsworth.« Percy konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. » Als Kinder hatten wir gehörig Angst vor ihm. Nicht, dass er uns jemals etwas getan hätte. Aber er strahlte so etwas Unheimliches aus. Wie soll ich sagen…?«
» Ja, er schien immer von einer dunklen Wolke umgeben zu sein. Ich glaube, ich habe ihn niemals lachen gehört. Wir hassten es, wenn wir ihn besuchen mussten. Diese düstere Atmosphäre – ich hatte immer Angst, in den stockfinsteren, ewig langen Korridoren einem Gespenst zu begegnen.« Catriona erschauerte und fixierte ihren Bruder. » Und du Scheusal hast dir einen Spaß daraus gemacht, mir noch mehr Angst einzujagen: Weißt du noch, wie du mir, in ein Bettlaken gehüllt, auf dem Flur aufgelauert hast? Ich habe so geschrien vor Schreck, dass das ganze Haus zusammengelaufen ist.«
» Ja, du hast mächtig gekreischt! Es war ein toller Aufruhr! Und es hat mir eine ordentliche Tracht Prügel eingebracht«, erinnerte Percy sich ohne den leisesten Hauch von Reue. » Aber es war den Spaß wert.«
» Später haben wir natürlich verstanden, wieso Onkel Hugh so war«, sagte Catriona leise. » Er war immer sehr gut zu uns, hat unsere Schulen bezahlt, und er wollte auch für mein Debüt in London aufkommen.«
» Wie großzügig!« Lady Chatwick war beeindruckt. Sie war wohl die Einzige unter ihnen, die wenigstens eine vage Vorstellung von den Kosten eines solchen Debüts hatte. » Wieso kam es nicht dazu?«
» Unsere Mutter starb. Und als das Trauerjahr vorüber war, gab es für ihn nur noch die Suche nach seinem Sohn. Alles andere interessierte ihn nicht mehr.« Catrionas Stimme klang flach, mit einem bitteren Unterton.
Es musste eine schwere Enttäuschung für sie gewesen sein, dass Ians Vater auf einmal das Interesse an ihnen verloren hatte, dachte Dorothea ziemlich schockiert darüber, dass sie den Verlust ihres Debüts mehr zu bedauern schien als den Tod der Mutter.
» Cat hatte sich unwahrscheinlich auf diese Saison in London gefreut«, sagte Percy entschuldigend und warf seiner Schwester einen warnenden Blick zu. » Es wäre für sie die Chance ihres Lebens gewesen, aus der Provinz herauszukommen.«
» Ihr schätzt das Landleben nicht?« Ian schüttelte verständnislos den Kopf. » Ich würde jederzeit die kleinste Kate gegen London eintauschen. Ein schrecklicher Ort.«
» So etwas kann auch nur ein Mann sagen! All die Bälle, die Matineen, die Soireen«, schwärmte Catriona sehnsüchtig. » Ach, wie gerne wäre ich nur ein einziges Mal bei Almacks gewesen!«
» Ich weiß natürlich nicht, wie es heutzutage dort zugeht. Aber zu meiner Zeit war es ausgesprochen langweilig«, sagte Lady Chatwick. » Nicht einmal Walzer durften wir tanzen, stellt euch das vor! Es gab nur Mandelmilch oder Limonade. Wie bourgeois!« Sie verdrehte die Augen zur Zimmerdecke » Und diese grässliche Lady Jersey: Sie tat immer so, als ginge es ihr um Anstand und Sitte, aber in Wahrheit machte sie sich ein Riesenvergnügen daraus, die Debütantinnen und ihre Mütter zu schikanieren.«
» Sie waren
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