Die roten Blüten der Sehnsucht
zurückgewiesen, aber Tee und Toast gerne und in reichlichen Mengen zu sich genommen. Der Doktor wirkte seltsam verkniffen, als er Dorothea kurz angebunden bat, ihn mit seinem Patienten allein zu lassen. Vermutlich war das seine Art, denn als sie ihn nachher auf dem Flur abpasste und nach dem Organschaden ausfragen wollte, nuschelte er etwas von einem dringenden Termin und huschte von dannen.
» Was für ein unangenehmer Mensch«, sagte Dorothea, als sie das Zimmer betrat. » Ich kann mir nicht vorstellen, dass er viele Patienten hat– so unhöflich, wie er ist. Aber Hauptsache, er hat dir geholfen!«
» Er hat mir äußerst seltsame Fragen gestellt.« Ian richtete sich mühsam auf, runzelte die Stirn und sah zu dem Tisch hinüber. » Und er hat diese Flasche mitgenommen, die da stand.«
» ›Godfrey’s Elixier‹? Was will er damit? Das kann er sich doch selber in jedem Drugstore kaufen.« Verständnislos schüttelte Dorothea den Kopf. Hielt dieser komische, kleine Doktor etwa die Tinktur für den Auslöser von Ians Anfall? » Was hat er gefragt?«
» Ach, ob ich solche Anfälle schon öfter gehabt hätte und ob mir eine Häufung aufgefallen wäre. Ob wir regelmäßig Elixiere nähmen oder irgendwelche spezielle Pillen. Lauter Unsinn. Ich habe ihm gesagt, er solle die Sache nicht so aufbauschen. Es war wahrscheinlich ein Rückfall von vorgestern Abend.« Ian ließ sich, erschöpft vom Reden, zurück in die Kissen fallen. » Jedenfalls bin ich heilfroh, wenn wir wieder zurück auf Eden House sind. Ich habe das Gefühl, die Stadt bekommt mir nicht.«
Zu Dorotheas Verwunderung erschien kurz darauf auch noch Dr. Woodforde. Die Nurse hatte sich, frisch und ausgeruht, zu ihrer Nachtwache eingefunden und Dorothea mit einer Autorität, die keinen Widerspruch duldete, aus dem Zimmer gewiesen. » Sie sehen müde aus, Ma’am. Gehen Sie jetzt mal besser mit Ihren Freunden einen schönen, gemütlichen Tee trinken. Ich pass schon auf Ihren Mann auf.«
Sie saß gerade mit Catriona und Percy im Speisesaal des Hotels, als der Arzt mit äußerst ernster Miene an ihren Tisch trat und sie um ein Wort unter vier Augen bat. Während sie ihm zu dem kleinen Salon folgte, überlegte sie hektisch, worum es gehen mochte. Stand es doch ernster um Ian, als dieser Dr. Macaulay gesagt hatte?
» Bitte, sagen Sie: Geht es Ian doch wieder schlechter?«, platzte sie heraus, kaum dass Dr. Woodforde die Tür geschlossen hatte.
» Wie mein werter Herr Kollege richtig festgestellt hatte: Ihr Gatte verfügt glücklicherweise über eine ausgezeichnete Konstitution, Mrs. Rathbone.– Nein, es geht ihm besser, als zu erwarten gewesen wäre, wenn die Diagnose Dr. Macaulays der Wahrheit entspricht.«
Warum sah Dr. Woodforde sie so seltsam an? Schon dieser andere Arzt hatte sie angestarrt, als ob er erwartete, dass ihr jeden Moment Hörner wachsen würden.
» Was meinen Sie damit? Bitte spannen Sie mich nicht so auf die Folter. Sie wissen doch, wie nahe mein Mann und ich uns stehen. Was hat er? Ist es gefährlich?«
Nach einem Moment des Zögerns rang Dr. Woodforde sich zu einem Entschluss durch. Er atmete tief ein und nahm ihre beiden Hände in seine. » Mrs. Rathbone, bitte, erschrecken Sie nicht– Dr. Macaulay ist davon überzeugt, dass Ihr Gatte an den Folgen einer akuten Arsenikvergiftung erkrankt ist.«
Im ersten Augenblick glaubte Dorothea, sich verhört zu haben. Aber der Doktor hatte es ganz deutlich ausgesprochen: akute Arsenikvergiftung. Sie schüttelte langsam den Kopf. » Unmöglich. Dieser Doktor Macaulay muss sich irren. Er scheint kein sehr guter Arzt zu sein.«
» Leider doch. Er hat viele Jahre als Arzt in London gearbeitet und sagt, er hätte mehr Fälle von Arsenvergiftung gesehen als von Cholera. Bei Ihrem Gatten wäre die Symptomatik unmissverständlich gewesen.«
» Er hat mit Ihnen darüber gesprochen?«
» Nicht direkt.« Dr. Woodforde zeigte Anzeichen von Verlegenheit. » Der Gute war ein bisschen übereifrig.« Er räusperte sich. » Hat Anzeige bei Richter Cooper erstattet.«
» Anzeige? Weswegen?« Dorothea sah ihn verständnislos an.
» Tja, wissen Sie, Mrs. Rathbone– in London kommt es häufig zu Arsenikvergiftungen durch Ehefrauen, die ihre Männer loswerden wollen. Da es geschmack- und geruchlos ist, kann man es leicht unter das Essen mischen. Beliebte Methode! Die Symptome sind nahezu identisch mit denen der Cholera. Sehr schwierig zu diagnostizieren. Und bis vor Kurzem nicht nachweisbar.« Er sprach
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