Die roten Blüten der Sehnsucht
immer abgehackter.
» Wollen Sie damit sagen, Dr. Macaulay verdächtigt mich, meinen Mann vergiftet zu haben?« Dorothea hätte fast laut herausgelacht. Wie kam dieser Mensch nur auf so eine lächerliche Idee?
» Ich denke, wenn er Richter Cooper nicht die tote Maus präsentiert hätte, hätte der es auch nicht ernst genommen. Aber Macaulay schwor, dass diese Maus nichts als einen Rest dessen, was er an der Kleidung Ihres Mannes sichergestellt hatte, gefressen hätte. Keine Stunde später sei sie tot gewesen.«
» Eine Maus? Die sterben an allen möglichen Dingen. Das ist doch kein Beweis.«
» Es ging auch nur darum, dass Richter Cooper die Anzeige nicht einfach abweisen konnte. Er hätte es gerne getan, aber der neue Sekretär vom Gouverneur war zufällig anwesend und hat darauf bestanden, dass es eine Untersuchung gibt.«
Dorothea fehlten die Worte. Wie betäubt sank sie auf einen Stuhl, den Dr. Woodforde ihr fürsorglich unterschob.
» Sehen Sie, Mrs. Rathbone: Richter Cooper hat mich extra aufgesucht, um mich nach meiner Meinung zu fragen, und ich habe ihm selbstverständlich versichert, dass Sie ganz bestimmt keine Giftmörderin sind. Das wird natürlich auch das Ergebnis der Untersuchung sein. Richter Cooper bat mich, Ihnen das Ganze so schonend wie möglich beizubringen. Er hat die Anhörung für nächste Woche angesetzt. Eine reine Formsache. Aber Sie dürfen Adelaide so lange nicht verlassen.«
Dorothea nickte wie in Trance, während sie versuchte, diese wahnsinnige Wendung zu verstehen. Sie hatte genug über das englische Recht mitbekommen, um zu wissen, dass es vor einer Anklageerhebung manchmal eine Untersuchung gab, in der eine Kommission oder Jury der Frage nachging, ob überhaupt ein Verbrechen vorlag. Erst wenn das bejaht worden war, kam die Angelegenheit vor Gericht. Dennoch war bereits eine solche Untersuchung für die Betroffenen alles andere als angenehm. Höchst private Dinge wurden in aller Öffentlichkeit angesprochen, und nicht selten kam es zu einer Vorverurteilung durch die öffentliche Meinung.
Auf jeden Fall war es ein Skandal! Ein schrecklicher Skandal.
» Soll ich Ihnen ein Beruhigungsmittel dalassen?«, fragte Dr. Woodforde und betrachtete sie so besorgt, als erwartete er, dass sie jeden Augenblick einen hysterischen Anfall erleiden würde. » Oder soll ich Ihre Begleiterin bitten, dass sie Sie zu Bett bringt?«
Wieso dachten alle immer, man müsste zu Bett gehen, wenn die Welt um einen herum schwankte? Als ob sie damit aufhören würde, wenn man nur die Bettdecke über den Kopf zöge.
» Nein danke«, sagte Dorothea. » Ich bin noch nicht müde. Aber könnten Sie noch einmal nach Ian sehen? Ob wirklich alles in Ordnung mit ihm ist?«
Während der Arzt bei Ian war, schritt sie nervös den Gang auf und ab. Warum brauchte er so lange? Angeblich war er doch über den Berg?
Als sich endlich die Tür wieder öffnete und der Arzt aus dem Zimmer trat, zitterte sie vor Aufregung. » Geht es ihm gut, Doktor? Oder wird etwas zurückbleiben?« Die ominöse Organschädigung, von der die Pflegerin gesprochen hatte, beunruhigte sie mehr, als sie sich selbst eingestehen mochte.
Dr. Woodforde tätschelte väterlich ihre Hand, die sie in seinen Ärmel gekrallt hatte. » Kein Grund zur Sorge, Ma’am«, sagte er, ohne sie direkt anzusehen. » Es geht Ihrem Gatten bald wieder prächtig.«
Erst nachdem er sich schon längst verabschiedet hatte und gegangen war, fiel ihr auf, dass er ihr dabei nicht in die Augen gesehen hatte. Er glaubte doch nicht etwa auch, dass sie imstande wäre, ihren Mann zu vergiften? Dr. Woodforde kannte sie seit vielen Jahren. Er musste doch wissen, dass ein solcher Vorwurf einfach nur bösartige Verleumdung war!
Es dauerte, bis sie registrierte, dass sie im Speisesaal stets so gesetzt wurden, dass möglichst der ganze Raum zwischen ihnen und den anderen Gästen lag. Dass nicht einer ihrer alten Bekanntschaften seine Karte abgab. Dass die Zimmermädchen es gar nicht erwarten konnten, wieder gehen zu dürfen. Erst als ihre Schwester kam und bat, auf weitere Besuche in der Carrington Street zu verzichten, ging ihr die ganze Tragweite des ungeheuerlichen Verdachts auf.
» Aber, Lischen, die Leute glauben diesen Unsinn doch nicht etwa?«
» Mama hat jetzt schon zwei Absagen für Nachmittagskleider und eine für eine Abendrobe«, erwiderte Lisbeth sehr ernst. » Sie würde es dir natürlich verheimlichen und mir den Kopf abreißen, wenn sie wüsste, dass ich dich
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