Die roten Blueten von Whakatu - Ein Neuseeland-Roman
Kommission vorzulegen. Am Nachmittag sollte die Auswertung stattfinden. Die Juroren mussten sich für mehrere Stunden hinter verschlossene Türen zurückziehen, um die Besten ihrer Art zu küren.
Derweil feuerte die ganze Familie Julius und Rieke beim Sackhüpfen an, sah dem Ponyrennen zu und lachte über die komischen Verrenkungen der Teilnehmer, die versuchten, eine eingefettete Stange hinaufzuklettern. Linas Wangen glühten vor Aufregung. So gut hatte sie sich lange nicht mehr gefühlt. Und nicht nur ihr ging es so. Überall wurde gelacht und gescherzt, sah sie frohe Gesichter und glückliche Menschen. Selbst der meist so wortkarge Mr Treban präsentierte ihnen am Nachmittag stolz den zweiten Preis, den er für einen seiner wunderbar gewachsenen Kürbisse bekommen hatte.
Zur Feier des Tages war sogar ein gemeinsames Abendessen eingeplant. Als jeder einen Platz an einem der vielen Tische gefunden hatte, standen alle auf und hoben ihre Tassen und Becher. Der erste Trinkspruch gebührte Königin Victoria von England, mit dem zweiten wurde schweigend der Gefallenen des Wairau-Massakers gedacht.Lina warf Alexander einen raschen Blick zu, aber dieser bemerkte es nicht.
Dann setzte man sich zu Butterbroten, Tee und Kuchen. Auch Lina hatte einen saftigen Früchtekuchen dazu beigesteuert, mit dem sich die kleine Sophie gerade bis über beide Ohren verschmierte. Lina nahm sie auf den Arm und ging rasch mit ihr zu einer Waschgelegenheit, um sie zu säubern.
Als sie zurückkamen, räumte man die Tische bereits ab, und auf dem Feld nebenan, das sonst zum Kricketspielen genutzt wurde, stellte sich soeben eine kleine Musikkapelle auf. Ein Mann holte seine Geige hervor, ein anderer eine Flöte und ein dritter hatte ein Akkordeon dabei.
»Lellek …« Das kleine Mädchen begann zu weinen, als sie Alexander nirgends entdeckte. Sophie liebte ihren großen Bruder, dabei sah sie ihn viel zu selten.
Auch Lina war enttäuscht. »Komm, Sophie, wir suchen Alex«, sagte sie, um die Kleine zu trösten, und fasste das Kind an der Hand.
Die Gassen um den Festplatz herum leerten sich allmählich, die meisten Feiernden fanden sich inzwischen auf dem Kricketplatz ein. Vom Meer her wehte der Geruch nach Tang, Fisch und Salz.
»Lellek!«, rief Sophie freudig aus und deutete auf eine kleine Gruppe Maori, die am Rand einer Kreuzung stand.
»Nein, Sophie, das ist nicht Alex …«
Er war es doch. Sie hatte ihn nur nicht gleich erkannt, weil auch einige der Maori europäische Kleidung trugen. Gleichermaßen erstaunt und verwirrt sah Lina, wie Alexander und ein großer Maori sich gegenseitig die Hand in den Nacken legten und kurz Stirn und Nase aneinanderpressten. Dann tat er dasselbe mit einem anderen Mann. Wie eine sehr vertraute Form der Begrüßung.
Ob Mr Treban wusste, dass sein ältester Sohn offenbar mit einigen Maori befreundet war? Lina bezweifelte es. Wahrscheinlich würde er ihn windelweich prügeln, wüsste er, was Alexander hier tat. Jetzt erinnerte sie sich auch wieder an die seltsame ornamentale Tätowierung, die sie kurz vor Weihnachten auf seinem Oberschenkel gesehen hatte. Das moko, wie er es genannt hatte. Sie hatten seitdem nie wieder darüber gesprochen.
Der zaghafte Ton einer einzelnen Flöte ertönte, in den sich sogleich Geigen- und Akkordeonklänge mischten und zu einer fröhlichen Melodie vereinigten. Lina nahm die Kleine auf den Arm, dann machte sie kehrt und ging schnurstracks zurück zum Kricketfeld.
Die kleine Kapelle spielte zum Volkstanz auf. Die ersten Paare hatten sich bereits auf der Rasenfläche aufgestellt und begannen zu tanzen. Gelächter und vereinzelter Gesang ertönte. Rieke, die mit Julius im Kreis herumhüpfte, winkte ihr fröhlich zu. Lina hätte auch gern getanzt. Ob vielleicht Alexander …? Aber nein, der war ja gerade anderweitig beschäftigt. Und so setzte sie sich eben mit Sophie auf eine der Bänke, neben Mr Treban, der ihr prompt einen Becher Bier in die Hand drückte – das erste in Nelson gebraute, wie er stolz verkündete. Lina versenkte die Nase in den Becher und trank von dem bitteren Getränk. Das warme Wetter hatte sie durstig gemacht.
»Na, das ist ein Bier, nicht wahr?«
Sie nickte. Dabei schmeckte es ihr nicht einmal besonders, aber sie wollte Mr Treban nicht verärgern. Wenigstens löschte es den Durst.
»Miss?« Sie fuhr zusammen, als Appo Hocton, der junge Chinese, plötzlich neben ihr stand. »Möchten Sie tanzen?«, fragte er auf Englisch.
Sie setzte den Becher ab und
Weitere Kostenlose Bücher