Die roten Blueten von Whakatu - Ein Neuseeland-Roman
stand auf. »Gerne!« Sie brauchte doch Alexander nicht, um ein bisschen Spaß zu haben!
Es dauerte nicht lange, und Appo und sie drehten sich mit den anderen Tänzern zu den vertrauten Weisen. Appo war wirklich nett. Seit mehr als zwei Jahren war er in Nelson, also fast genauso lange wie Alexander. Seine Heimat in China hatte er im Alter von neun Jahren verlassen, um etwas von der Welt zu sehen, wie er ihr erzählte. Er hatte zuerst als Schiffsjunge auf verschiedenen britischen Schiffen gearbeitet, wo er die englische Sprache gelernt hatte. Bei seiner Ankunft in Nelson war er Proviantmeister auf einem Einwandererschiff gewesen. Doch der Schiffskapitän hatte ihn schlecht behandelt, wie er erklärte, hatte ihm zum Beispiel Seife verweigert, mit der er seine Kleidung waschen konnte. Er entschied sich zu desertieren und verließ in einer sternenklaren Nacht mit einigen anderen Mannschaftsmitgliedern das Schiff. Für ein paar Tage versteckte er sich in den Hügeln nahe dem Hafen, doch dann erwischte man ihn, stellte ihn vor Gericht und verurteilte ihn zu dreißig Tagen Haft. Er lachte, als er Lina davon erzählte – offenbar war es nicht weiter schlimm für ihn gewesen. Vor einiger Zeit hatte er bei einem Arzt Arbeit gefunden und kümmerte sich dort um alles, was im Haus anfiel. Seitdem hatte er fleißig gespart und sich schon bald einen Karren und einen Ochsen kaufen können. Doch noch immer galt er hier, anders als die meisten Einwanderer, als Ausländer und war noch nicht eingebürgert worden.
Sie stellten sich für den nächsten Tanz auf. Appo wollte ihr gerade von seinen Plänen für die Zukunft erzählen, als plötzlich Alexander neben ihnen stand.
»Entschuldigung, aber das ist meine Dame«, sagte er zu Appo.
Er sprach englisch und Lina war nicht sicher, ob er wirklich my lady gesagt hatte. Außerdem war ihr ein wenig schwindelig und ihr Herz klopfte plötzlich schneller. Kam das vom Bier oder war es die Aufregung?
Appo zögerte einen Moment, dann verbeugte er sich kurz vor Lina, nickte Alexander freundlich zu und ließ sie dann allein.
»Und wenn ich nicht mit dir tanzen will?«, fragte sie herausfordernd.
»Ach, aber mit Appo wolltest du tanzen?« Alexander klang richtiggehend verärgert.
Trotz seiner harschen Worte musste Lina in sich hineingrinsen. War da etwa jemand eifersüchtig? Ein warmes Gefühl breitete sich in ihrem Bauch aus. Nein, nicht nur warm – ihr war richtiggehend heiß. Die Sonne brannte aber auch wirklich. Lina konnte spüren, wie sich kleine Schweißtröpfchen auf ihrer Stirn bildeten.
Was immer sie ihn hatte fragen wollen – jetzt war alles fort. Noch während sie sich gegenüberstanden, wurden Rufe nach einem Walzer laut. Sogleich fing die Kapelle an, ein Lied im Dreivierteltakt zu spielen.
Alexander fasste Linas Hand und zog sie an sich. Früher, in Deutschland, hatte sie manchmal zum Spaß mit Rieke Walzer getanzt. Aber dabei hatten sie sich nur an den Händen gehalten und nie so nah zusammengestanden, wie sie und Alexander es jetzt taten. Seine linke Hand hielt ihre rechte, die plötzlich ganz glitschig war vor Schweiß, und mit seiner Rechten hielt er sie eng an sich gepresst. So eng, dass sie seine Körperwärme spürte und glaubte, seinen Herzschlag zu fühlen.
Als sie anfingen zu tanzen, blickte sie auf und sah in seine Augen. Sie waren von einem wundervollen dunklen Graublau. Wie Wolken bei Sturm. Wann war ihr das zum ersten Mal aufgefallen?
»Was ist los?«, fragte er leise spottend. »Hast du Angst vor mir?«
»Nein, wieso?«
»Du zitterst wie Espenlaub.«
Tat sie das wirklich? Sie fühlte sich seltsam schwerelos in seinen Armen. Ein bisschen so, als würde sie schweben, während sie sich hier mit ihm drehte.
Leider war der unebene Boden denkbar ungeeignet für einen Walzer. Es gab ein großes Gelächter, als die ersten Tänzer ins Straucheln gerieten oder sich gegenseitig auf die Füße stiegen. Auch Lina stolperte und wäre gefallen, wenn Alexander sie nicht gehalten hätte.
Er blieb stehen und hielt sie so fest, dass sie kaum mehr Luft bekam. Sein Gesicht war jetzt dicht neben ihrem, sein Atem streifte ihren Hals. Seine Nähe machte sie plötzlich nicht mehr verlegen, sondern glücklich. Ihr Herz klopfte wie wild. Sie sah auf, suchte seinen Blick und fand ein Lächeln in seinen Augen.
Von irgendwoher, weit, weit weg, drangen erregte Stimmen durch die schönen Walzerklänge. Eine klang wie die von Mr Treban. Aber das war jetzt nicht wichtig.
Sie schloss
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