Die roten Blueten von Whakatu - Ein Neuseeland-Roman
anderen Weg. Und der bedeutete, dass sie beide gemeinsam die Trebans verlassen mussten.
Fort von Julius und der kleinen Sophie. Fort von Alexander.
Allein der Gedanke tat weh, und jetzt kamen ihr doch die Tränen. Hatten sie nicht gerade erst angefangen, sich näherzukommen?
Sie wischte die Tränen fort und zwang ihre Gedanken in eine andere Richtung. Irgendwie musste es weitergehen. Sie würden sich eine andere Stellung suchen müssen. Das würde nicht leicht werden. Wer würde sie schon nehmen? Sie wusste, dass es zurzeit schlecht aussah mit Arbeit. Jetzt, wo die Compagnie kein Geld mehr hatte, um Leute zu bezahlen. Und womöglich hatte sich sogar schon herumgesprochen, dass Rieke krank war. Vielleicht mussten sie es außerhalb von Nelson, in Waimea oder Riwaka, versuchen. Vielleicht in Ranzau, wo die Kellings lebten. Möglicherweise brauchte die Ehefrau von Fedor Kelling eine Haushaltshilfe. Aber sie bezweifelte, dass die Kellings Arbeit für sie hatten, schließlich hatten sie schon im vergangenen September das Höchstmaß an Leuten angestellt. Mehr war ihnen sicher nicht möglich.
Und dann, wie aus dem Nichts, war da plötzlich eine Idee. Eine Idee, die ihr als einzig mögliche Lösung für ihr Problem erschien – und die eigentlich viel zu anmaßend war, um funktionieren zu können, hätte Mr Treban selbst sie nicht darauf gebracht. Vorausgesetzt, er meinte immer noch ernst, was er sie damals gefragt hatte.
Aber – wie würde Alexander darüber denken? Für einen Augenblick kam es ihr vor, als würde man ihr das Herz bei lebendigem Leib aus der Brust reißen, so weh tat es. Nein, diesen Gedanken musste sie schnell zurückdrängen. Alexander hatte keinen Platz in diesem Plan. Um Rieke zu retten, blieb ihr keine andere Wahl.
Und sie würde Treban jetzt gleich fragen, bevor sie der Mut verließ.
Leise schlüpfte sie unter der Decke hervor. Sie griff nach ihrem Schultertuch und dann nach einer Kerze, die sie auf einer Holzscheibe befestigt hatte, schlich aus der kleinen Schlafstube und achtete darauf, die Tür sorgsam zu schließen. Dann tappte sie auf nackten Füßen zum Ofen in der Küche. Im Dunkeln stieß sie sich schmerzhaft an einem Stuhlbein und unterdrückte gerade noch einen Schmerzenslaut. Sie lauschte. Alles blieb ruhig; Julius, der irgendwo hier schlief, war nicht aufgewacht. Sie tastete sich zum Ofen vor, öffnete nahezu geräuschlos die Ofenklappe und hielt die Kerze so lange an die schwelende Glut, bis der Docht brannte.
Das Haus lag dunkel, nur das Kerzenlicht erhellte jetzt den kleinen Bereich um Lina herum. Leise erhob sie sich und ging zur Tür, die in Mr Trebans Schlafzimmer führte. Dahinter hörte sie ihn schnarchen. Sie hob die Hand, zögerte und ließ sie wieder sinken. Mit einem Mal erschien ihr der Vorschlag schrecklich vermessen …
Aber es musste sein. Nur so konnte sie erreichen, dass Rieke und sie gemeinsam bei den Trebans bleiben konnten.
Erneut hob sie die Hand und klopfte zaghaft. Nichts geschah. Sie klopfte noch einmal, diesmal lauter. In der Stille der Nacht schien der Ton durch die ganze Blockhütte zu hallen.
Das Schnarchen brach ab, wurde zu einem verschluckten Grunzen, dann hörte sie Trebans Stimme. »Ja?«
Leise drückte sie die Klinke herunter und betrat mit der flackernden Kerze in der Hand das Zimmer.
Mr Treban hatte sich verschlafen im Bett aufgerichtet. Im Nachthemd, mit einer in einem langen Zipfel endenden Nachtmütze auf dem Kopf, wirkte er gar nicht mehr so streng. Eher wie der arme Poet auf dem Gemälde von Spitzweg, das sie einmal in einer Zeitung abgedruckt gesehen hatte. Wenn die Sache nicht so ernst gewesen wäre, hätte sie über diesen Anblick lächeln müssen.
»Lina! Ist etwas passiert? Geht es Rieke wieder schlechter?«
»Nein. Nein, es geht ihr gut.« Sie schloss die Tür hinter sich – Rieke musste nicht mitbekommen, dass sie hier war – und blieb dann an Ort und Stelle stehen. Ihr Herz klopfte rasend schnell und sie zitterte trotz der sommerlichen Wärme. Wie zum Schutz zog sie mit einer Hand ihr Tuch enger um sich.
Treban rieb sich die Augen. Inzwischen wirkte er hellwach. »Dann lässt dein Auftauchen in meinem Schlafzimmer wohl nur einen Schluss zu.« Er schüttelte den Kopf. »Das enttäuscht mich, Lina. Ich hätte dich wirklich für ein ehrbares Mädchen gehalten.«
Ihr wurde siedend heiß. So dachte er von ihr? Aber natürlich, diese Situation konnte man auch falsch verstehen.
»O nein, Mr Treban, deswegen bin ich nicht
Weitere Kostenlose Bücher