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Die roten Blueten von Whakatu - Ein Neuseeland-Roman

Die roten Blueten von Whakatu - Ein Neuseeland-Roman

Titel: Die roten Blueten von Whakatu - Ein Neuseeland-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inez Corbi
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richtig zu waschen, hätte sie sich ausziehen müssen, und das kam hier natürlich nicht infrage.
    Alexander, der gerade aus den Büschen zurückgekehrt war, hielt ihr einen Packen großer grüner Blätter mit gewellten Rändern hin. »Hier.«
    Sie griff danach. Auf der Unterseite waren die Blätter von einem weichen, weißen Pelz überzogen. »Was ist das?«
    » Rangiora . Die Weißen nennen es ›Freund des Buschmanns‹.«
    »Aha«, machte Lina zweifelnd. »Und was soll ich mit diesem Freund?«
    Jetzt musste Alexander doch grinsen. »Du kannst auch Toilettenpapier dazu sagen.«
    »O – danke.« Lina spürte, wie sie knallrot wurde. »Das ist … sehr nett von dir.«
    »Keine Ursache.«
    Nach einem kargen Mahl aus zwei Äpfeln und einem Rest Kartoffeln ging es weiter. Vögel zwitscherten lautstark in allen Tonlagen, ein leichter Wind bewegte Linas Haare und die Flachsbüschel am Ufer. Die Wolken hatten noch immer dicke, graue Bäuche, aber ihr oberer Rand leuchtete in sauberem Weiß. Die Sonne strahlte hinter einem Wolkensaum hervor, färbte ihn in zartem Purpur. Dann brach sie ganz hervor, Sonnenstrahlen fielen wie ein Fächer auf die Erde. Lina fühlte sich plötzlich unglaublich lebendig. War es wirklich erst ein Jahr her, seit sie in Deutschland die Anzeige gelesen hatte? Die Zeit dort erschien ihr auf einmal völlig unwirklich, als hätte sie das alles nur geträumt und wäre erst vor Kurzem aufgewacht.
    Der Maitai führte jetzt durch einen Wald aus Buchen und Kiefern. Das Unterholz war so dicht, dass man nicht weit sehen konnte. Auch der Fluss veränderte sein Gesicht, die Strömung wurde stärker. Bald reichten die Paddel nicht mehr, und sie wechselten zu den langen Stangen, mit denen sie das Boot vom Grund abstießen. Lina, die sich gerade erst an das Paddeln gewöhnt hatte, kniete im vorderen Teil des Kanus. Im waka zu stehen, wie Alexander es tat, traute sie sich beim besten Willen nicht zu. Schon so war das Staken eine wackelige Angelegenheit und die offenen Blasen an ihren Händen machten es nicht besser.
    Nach dem Wald erstreckte sich eine mit dichten Farnen und Büschen bedeckte Ebene zu beiden Seiten des Flusses. Dazwischen gab es immer wieder offenes Sumpfland, auf dem Flachs wuchs. Für einen Augenblick drehte sie sich um. Alexander stand aufrecht im Heck. Fasziniert beobachtete sie, wie er das waka mit der langen Stange vom Flussboden abstieß, die Stange wieder einholte und erneut abstieß. Es sah gar nicht schwer aus.
    Das bislang ruhig fließende Gewässer wurde rauer. Immer wieder mussten sie auf große Steine achten, und mehr als einmal legte sich das waka gegen die Strömung und wäre fast umgeschlagen. Ob Rieke und Julius wirklich bis hierher gekommen waren? Als vor ihnen gar ein paar kleinere Stromschnellen das Wasser brachen, fragte sie Alexander danach.
    Er gab zuerst keine Antwort. »Ja«, rief er ihr dann zu. »Ja, sie waren hier! Sieh nur!«
    »Was?« Lina drehte sich um.
    Er deutete auf eine Stelle am Ufer. »Da ist unser waka! «
    »Wo?«
    »Da, hinter dem – pass auf!«
    Der Stoß kam so unerwartet, dass Lina keine Möglichkeit mehr hatte, sich im plötzlich stark schwankenden Kanu festzuhalten. Sie ruderte mit den Armen, verlor das Gleichgewicht und fiel mit einem Schrei in den Fluss.
    Das Wasser war eiskalt, und als sie mit dem Kopf untertauchte, geriet sie in Panik. Die Strömung zog sie mit sich, sie wusste nicht mehr, wo oben und unten war. Hilflos strampelte sie, verfing sich in ihrem langen, schweren Rock, wollte schreien und schluckte Wasser. Ihre Hände griffen in Wasserpflanzen, berührten etwas Langes, Glitschiges – ein Aal? – und fuhren zurück. In ihrem Kopf dröhnte es, sie musste raus hier, sie brauchte Luft, aber wo war die Oberfläche …?
    Dann wurde sie gepackt und nach oben gezogen. Hustend und keuchend hing sie in Alexanders Armen, bis sie wieder Grund unter den Füßen spürte und aufrecht stehen konnte.
    Er atmete heftig, die nassen Haare hingen ihm in die Augen.
    »Wieso hast du mir nicht gesagt, dass du nicht schwimmen kannst?«, schrie er sie an. »Was denkst du dir eigentlich? Du hättest gerade ertrinken können!«
    Lina zitterte vor Schreck und Erleichterung. »Es … es tut mir leid«, stammelte sie. Ihre Kiefer wollten ihr kaum gehorchen.
    »Und hör endlich auf, dich für alles und jeden zu entschuldigen! Das macht mich noch ganz krank!«
    In seinen sturmblauen Augen spiegelte sich Wut. Und noch etwas anderes.
    Linas Haarknoten war aufgegangen,

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