Die roten Blueten von Whakatu - Ein Neuseeland-Roman
die nassen Strähnen hingen ihr triefend ins Gesicht. Sie schniefte und wollte gerade zu einer weiteren hilflosen Erklärung ansetzen, als Alexander ihren Kopf plötzlich mit beiden Händen umfing. Und sie küsste. Nicht zärtlich, sondern wild, wütend, fast schon rau. Lina war so überrascht, dass sie stocksteif dastand und sogar das Atmen vergaß.
Dann ließ er sie los, drehte sich wortlos um und kämpfte sich durch das Wasser zu ihrem waka vor.
Hinter der als Sichtschutz aufgehängten Decke zitterte Lina vor Kälte. Die nassen Kleider klebten ihr am Leib.
»Hier, das kannst du anziehen«, hörte sie dann Alexanders Stimme und im nächsten Moment erschien seine Hand hinter der Decke. Mit einem Hemd von ihm. »Ich habe noch ein zweites dabei. Und sag nicht, dass das nicht geht. Wir sind hier in der Wildnis. Niemand sieht dich.«
Doch, hätte Lina fast erwidert. Du.
»Danke«, gab sie stattdessen mit klappernden Zähnen zurück. Die ganze Situation war ihr unglaublich peinlich. Aber das war Alexanders Schuld. Zumindest in der Kleiderfrage. Hätte er gestern früh nicht die Hälfte ihrer bereits verschnürten Kleidung wieder ausgepackt, hätte sie mehr als nur eine Garnitur. Andererseits – wieso war sie bloß nicht auf die Idee gekommen, selbst noch einmal den Packen zu überprüfen?
Sie konnte das Feuer knistern hören und sehnte sich nach der Wärme. Und schließlich schälte sie sich aus ihren triefend nassen Kleidern und streifte Alexanders Hemd über. Es war länger als ihres und reichte ihr bis zum Knie. Trotzdem hatte sie das Gefühl, sie stünde nackt da.
Alexander hatte eine Decke nach Maori-Art um sich geschlungen und saß am Feuer, seine Kleider lagen zum Trocknen ausgebreitet daneben. Er blickte auf, als Lina zu ihm trat, aber er sagte nichts. Sie war ihm dankbar dafür.
Auch wenn alles in ihr danach drängte, Rieke und Julius zu folgen – zuerst mussten ihre Haare und ihre nassen Sachen trocknen. Und so presste sie das Wasser aus Hemd, Rock und Strümpfen, hängte alles über den Busch neben dem Feuer und hockte sich zu Alexander.
Zaghaft blickte sie ihn an. Die Decke gab den Blick auf die Tätowierung auf seinem Oberschenkel frei. Verschlungene Kreise und Linien, fremdartig und faszinierend zugleich. Den Kuss hatte er bislang mit keinem Wort erwähnt. Als ob nichts passiert wäre. Und vielleicht hatte sie sich das tatsächlich auch nur eingebildet.
Ihr von Mr Bensemann geliehenes waka hatte sich wenige Meter flussabwärts im Ufergestrüpp verfangen. Sie hatten ihre Sachen ausgeräumt, Paddel und Stangen unter einem Busch verstaut und das Boot am Ufer vertäut. Neben dem anderen, bei dem es sich tatsächlich um das waka der Trebans handelte. Dass es ebenfalls festgebunden am Ufer lag, konnte nur eines bedeuten: Die Kinder waren hier gewesen.
Eine ganze Weile saßen sie schweigend nebeneinander. Lina genoss die Wärme, die langsam wieder in ihren Körper zurückkehrte, und entwirrte mit den Fingern ihre Haarsträhnen. Ihre Haare waren noch feucht, aber es würde schon gehen. Sie fasste sie im Nacken zusammen und begann, sie wieder zu einem Knoten zusammenzudrehen.
»Lass sie doch offen«, sagte Alexander.
Lina hielt nur kurz inne. »In Deutschland tragen anständige Frauen die Haare nicht offen.«
»Wir sind hier aber nicht in Deutschland.«
»Trotzdem.« Lina steckte den feuchten Knoten im Nacken fest.
Alexander sah sie an, als wolle er noch etwas dazu sagen, dann schüttelte er nur den Kopf.
»Wir sind hier im Gebiet der Ngati Apa «, sagte er dann. Er deutete auf ein Stück Buschwerk. »Da hinten verläuft ein Maori-Pfad. Julius und Rieke sind ihm sicher gefolgt.«
Lina holte tief Luft, dann gab sie sich einen Ruck. »Woher weißt du so viel über die Maori?«, stellte sie die Frage, die ihr schon seit so langer Zeit unter den Nägeln brannte.
Er schwieg so lange, dass sie schon glaubte, er würde auch diesmal ausweichen. »Weil ich einer bin«, sagte er schließlich.
»Was?!«
»Ein pakeha maori . So nennen sie die Weißen, die bei den Maori leben.«
»Ach so. Aber … du lebst ja nicht bei den Maori.«
»Nein«, gab er zurück. »Aber das habe ich.« Er erhob sich und befühlte die Kleidung neben dem Feuer. »Das ist fast trocken. Komm, wir müssen weiter. Und dann werde ich dir alles erzählen.«
Kapitel 18
Der Pfad führte gut sichtbar durch dichtes Gestrüpp und Büschel von rauem Tussockgras. Linas Kleidung fühlte sich noch etwas klamm an, aber durch das Gehen wurde
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