Die roten Blueten von Whakatu - Ein Neuseeland-Roman
als der tohunga anfing, die Farbe mit einem scharfen Meißel in die Haut zu klopfen.«
»Das hört sich ja fürchterlich an.«
»Ganz so schlimm war es auch wieder nicht. Man lernt, sich auf anderes zu konzentrieren. Der ganze Stamm versammelt sich und schaut zu. Sie singen für dich, fächeln dir Luft zu, versuchen, dich abzulenken. Den ganzen Tag, denn einmal angefangen, muss es auch beendet werden. Ein moko ist ein Zeichen großer Ehre und Ansehen.«
Er blieb stehen. Das dichte Gebüsch war verschwunden, nun standen sie vor einer mit Gras und kleinen Büschen bewachsenen Fläche. Dann wies er auf eine schmale Spur im Gras. »Dort entlang.«
»Wie ging es weiter?«, wollte Lina wissen. Inzwischen schien die Sonne warm herab, ihre Kleidung war vollständig getrocknet.
Alexander fühlte sich wohl bei den Maori, erzählte er. So wohl, dass er für immer bei ihnen bleiben wollte. Doch als der Sommer Einzug hielt, kam das Schicksal in Gestalt eines englischen Missionars vorbei.
Samuel Ironside hatte an der Küste eine Missionsstation eröffnet und schon viele Maori zum christlichen Glauben bekehrt. Auch einige Mitglieder des Stammes, der Alexander aufgenommen hatte. Vor einigen Monaten hatte er die Leichen der beim Wairau-Massaker Gefallenen begraben – darunter auch Onkel Heinrich. Jetzt und hier einen Überlebenden zu finden, versetzte ihn in helle Aufregung. Er überzeugte die Maori davon, Alexander zu seiner Familie zurückkehren zu lassen, die ihn schon lange für tot hielt. Und so brachte Ironside eines schönen Tages im November 1843, fünf Monate nach dem Wairau-Massaker, Alexander zurück nach Nelson.
Auch wenn sich alle über seine Rückkehr freuten – es war ein trauriges Wiedersehen. Erst jetzt erfuhr Alexander von der Geburt seiner kleinen Schwester – und vom Tod seiner Mutter. Am schwersten aber fiel ihm sein Versprechen, niemandem außerhalb der Familie etwas über seinen Aufenthalt bei den Maori zu erzählen. Sein Vater hatte ihm strengstens verboten, auch nur ein Wort darüber zu verlieren. Rudolf Treban sah in ihnen nur die Wilden, die seinen Bruder ermordet und seinen Sohn verschleppt hatten.
»Ich habe versucht, es ihm zu erklären«, sagte Alexander. »Aber er wollte nichts davon hören. Nicht einmal, als –«
Er blieb so plötzlich stehen, dass Lina fast gegen ihn geprallt wäre.
»Was ist denn?«
Er blickte sich suchend um. »Ich dachte, ich hätte etwas gehört.«
»Rieke und Julius?«
Er schüttelte den Kopf. »Nein, eher etwas wie ein Pferdewiehern. Als würde uns jemand folgen.«
»Wer sollte uns denn folgen?« Lina sah sich ebenfalls um. Aber alles, was sie sehen konnte, waren Bäume und Buschland. Und einen Raubvogel, vermutlich ein Falke, der hoch oben am Himmel seine Kreise zog. Unter ihm, sich der drohenden Gefahr nicht bewusst, flatterte ein kleiner Vogel.
»Keine Ahnung. War wohl nur Einbildung.«
Lina wollte noch etwas erwidern, als der Falke einen gellenden Schrei ausstieß, die Flügel anlegte und im Sturzflug auf den kleineren Vogel zuschoss. Im nächsten Moment hatte er seine Beute mit den Krallen gepackt und flog mit ihr davon.
Lina starrte ihm mit offenem Mund hinterher, bis er aus ihrer Sicht verschwunden war.
Die Nacht war mild und der Blick atemberaubend. Der Himmel wies alle Schattierungen von Blau auf. Am westlichen Horizont, wo vor einer Weile die Sonne untergegangen war, war er heller, wie verdünnte Tinte. Im Osten dagegen zeigte sich ein tiefes, dunkles, fast schwarzes Blau. Über den schwarzen Schattenrissen der Bäume tauchten die ersten Sterne auf. Mehr, mehr und immer mehr. Bald funkelten über ihnen Tausende davon, als hätte jemand dort oben Juwelen verstreut.
Sie hatten ihr Nachtlager auf einer kleinen Lichtung im Wald unter freiem Himmel aufgeschlagen. Gemeinsam hatten sie Feuerholz zusammengetragen, die daumennagelgroßen roten Früchte der Nikau-Palme gepflückt und einige Farnwurzeln ausgegraben. Alexander war es außerdem gelungen, mit der Steinschleuder eine der vielen Fruchttauben zu erlegen, die sie bald darauf über dem Feuer gebraten hatten.
Lina war selten so glücklich gewesen. Selbst die ständige Sorge, ob es Rieke und Julius gut ging, konnte ihr Hochgefühl kaum trüben. Satt und gewärmt lag sie neben Alexander unter den Decken, denn wie selbstverständlich war er auch diesmal zu ihr gekommen.
»Siehst du die hellen Sterne dort?« Sein ausgestreckter Finger malte ein Kreuz vor den funkelnden Sternenhimmel.
»Ja«,
Weitere Kostenlose Bücher