Die roten Blueten von Whakatu - Ein Neuseeland-Roman
etwas Schlechtes gegessen. Schon immer hatten ihr solche Höhen entsetzliche Angst gemacht.
Ihr Herz raste. Mit zitternden Knien wich sie langsam zurück auf sicheres Gelände, versuchte, ihre Beine wieder unter Kontrolle zu bringen.
»Ah, da ist ja das junge Fräulein!« Die Stimme ertönte so unvermittelt, dass Lina vor Schreck fast das Messer fallen gelassen hätte.
Sie fuhr herum. »Wer … Mr … Seip?!«
Den dicken Agenten der Neuseeland-Compagnie hier mitten in der Wildnis zu sehen, war so unwirklich, dass Lina sich für einen Augenblick fragte, ob sie nicht doch noch immer träumte. Wenn auch einen Albtraum.
»Ganz recht.« Seip schnaufte, als wäre er gerannt. Lina konnte einen schwachen Geruch nach Pferd an ihm wahrnehmen. »Und wenn du hier bist, dann ist der junge Treban sicher auch nicht weit.«
Wenn er so fragte, dann konnte er zumindest nichts mit Alexanders Verschwinden zu tun haben. Aber was wollte er hier?
»Was tun Sie hier, Mr Seip?« Sie bemühte sich um Gelassenheit, aber ihre Stimme und ihre Beine zitterten gleichermaßen. »Sind Sie uns etwa gefolgt?«
»Kluges Kind.« Seip grinste unangenehm und trat einen Schritt näher.
Lina wich ihm seitlich aus, weg vom Abgrund. »Aber wieso? Was wollen Sie von uns?«
Er lachte auf, es klang richtiggehend melodisch. »Komm schon, Mädchen, mich kannst du nicht für dumm verkaufen. So vertraut, wie ihr mittlerweile miteinander seid, hat der junge Treban dir sicher sein Geheimnis verraten.«
So vertraut? Lina schluckte. Hatte Seip sie etwa beobachtet? Hatte er ihnen etwa zugesehen, als sie sich geküsst hatten? Ihr wurde ganz schlecht bei diesem Gedanken.
Erst dann drang der Rest seiner Worte zu ihr vor. Alexanders Geheimnis?
»Wo ist er?« Seips Augen verengten sich, sein Blick wurde lauernd. Lina wunderte sich nicht, warum er von vielen Einwohnern Nelsons »die deutsche Schlange« genannt wurde. Fast erwartete sie, dass zwischen seinen Lippen plötzlich eine schmale, gespaltene Zunge auftauchen würde.
»Ich wüsste nicht, was Sie das angeht.« Sie bemühte sich, ihrer Stimme einen festen Klang zu geben, obwohl sie zitterte. Der Mann machte ihr Angst. Lieber Gott, flehte sie stumm, bitte, lass Alexander ganz schnell hier auftauchen!
»Oho, eine kleine Heldin! Komm schon, Karolina, ich habe keine Zeit für solche Spielchen.«
»Gehen Sie weg. Oder … oder …«
»Oder?«, höhnte Seip.
Sie hob das Messer, drehte es so, dass die Klinge auf ihn zeigte. »Ich kann mich wehren!«
»Ach wirklich?« Lina erstarrte, als sie plötzlich in den Lauf eines Revolvers blickte. »Ich glaube kaum, dass du dagegen etwas ausrichten kannst.«
Linas Herz klopfte schmerzhaft gegen ihre Rippen, Schweiß sammelte sich auf ihrer Oberlippe. Eine Waffe! Er hatte eine Waffe auf sie gerichtet!
»Nun, wenn dein junger Freund sich nicht blicken lässt, wirst du mir eben weiterhelfen müssen. Er hat es dir doch verraten, oder?«
Lina nickte angstvoll.
Seip lächelte unschön und entblößte dabei eine Reihe erstaunlich gerader Zähne. »Sehr gut, dachte ich es mir doch. Nun, Karolina, dann wirst du mich jetzt augenblicklich an deinem Wissen teilhaben lassen. Was genau hat er gesagt?«
Lina zögerte. Durfte sie ihm das tatsächlich erzählen? Aber sie hatte nun wirklich keine andere Wahl. Was war an Alexanders Aufenthalt bei den Maori bloß dermaßen wichtig?
»Er … Alex war bei den Maori gewesen«, begann sie stockend. »Nach dem Wairau-Massaker. Für … für fast fünf Monate.«
»Ja«, sagte Seip ungeduldig und fuchtelte mit der Waffe. »Ja, ja und nochmals ja. Das weiß ich doch alles! Weiter!«
»Das wissen Sie?« Jetzt verstand Lina überhaupt nichts mehr. »Aber – warum fragen Sie mich dann danach?«
Er lachte auf. »Hör mal zu, junges Fräulein, ich habe jetzt lange genug Geduld mit dir gehabt. Länger wirst du mich nicht für dumm verkaufen. Du wirst mir jetzt augenblicklich sagen, wo er das Gold gefunden hat!«
»Gold?« Lina glaubte, sich verhört zu haben. »Alex hat Gold gefunden?«
»Ja natürlich.« Seip war inzwischen sichtlich ungehalten. »Damals, als er bei diesen Wilden war. Glänzende, schimmernde Nuggets, eines fast so groß wie ein Kieselstein.«
»Was? Woher … woher wissen Sie das?«
»Weil sein Vater einen Teil seiner Schulden bei mir mit Gold bezahlt hat, kaum dass sein ältester Sprössling wieder zurück im Schoße der Familie war. Da habe ich natürlich eins und eins zusammenzählen können.«
Darauf bezogen sich
Weitere Kostenlose Bücher