Die roten Blueten von Whakatu - Ein Neuseeland-Roman
britischen Krone zwischen achtzehn und sechzig Jahren‹«, las sie auf Englisch vor, »›sind zum Dienst verpflichtet. Wer nicht zum angegebenen Ort und Zeitpunkt erscheint, wird zu einer Strafe von zwanzig Pfund verurteilt.‹« Sie blickte auf. »Zwanzig Pfund! Weißt du, wie lange du dafür arbeiten müsstest? Und unsere Schulden werden dadurch noch größer!«
Alexander nahm ihr das Schreiben aus der Hand und suchte nun seinerseits etwas. »Da steht aber auch: ›Ausgenommen hiervon sind lediglich Geistliche und Maori.‹«
»Ja, und? Du bist weder Priester noch Maori«, gab Lina zu bedenken.
»Doch«, kam es fast trotzig von Alexander. »Nicht vom Blut, aber vom Kopf. Ein pakeha maori .«
Lina schüttelte den Kopf. »Ich fürchte, das werden die Verantwortlichen etwas anders sehen. Außerdem zahlen sie doch auch einen Sold für den Dienst. Das Geld können wir gut brauchen.«
Am Ende, irgendwann spät in der Nacht, hatte er zugestimmt, wenn auch zähneknirschend. Was blieb ihm auch anderes übrig.
Die Zeit des Abschieds kam viel zu schnell. Während Lina ein paar letzte Sachen einpackte, nahm Alexander Julius beiseite.
»Wehe, wenn ich später erfahre, dass du Lina nicht gehorcht hast!«, schärfte er seinem kleinen Bruder ein.
Julius nickte eifrig und mit Unschuldsmiene. Er hatte schließlich einiges wiedergutzumachen. »Aber – Alex?«
»Ja?«
»Wenn du weg bist, bin ich doch der Mann im Haus, oder? Und dann muss ich doch auf Rieke und Sophie aufpassen. Und auch auf Lina.«
Wider Willen musste Alexander lachen. »Versuchst du schon wieder, den Spieß umzudrehen? Lina kann schon auf sich selbst aufpassen. Und du wirst tun, was sie dir sagt.«
Er seufzte und nahm das Bündel auf, das sie ihm reichte. »Ich wünschte, ich wäre schon wieder zurück.«
»Es ist doch nur für einen Monat«, sagte Lina, während sie ihm nach draußen folgte. »Und du bist ja gar nicht richtig weg.«
Das sagte sich so leicht. Dabei kam es ihr selbst gerade so vor, als würde jemand in ihren Brustkorb greifen und eine eisige Hand um ihr Herz legen. Achtundzwanzig Tage. Einen ganzen Monat! Sie schluckte, kämpfte mit den aufsteigenden Tränen. Manchmal war es so schwer, vernünftig zu sein.
Er blickte über die dicht belaubten Bäume hinweg auf den großen Hügel, wo man die Palisaden und Gebäude von Fort Arthur sehen konnte. Dort, wo die Mitglieder der Bürgerwehr ihren Wehrdienst abzuleisten hatten.
»Ja, ich weiß. Das Gelände verlassen darf ich trotzdem nicht. Aber … vielleicht lassen sie sich überzeugen, dass ich momentan hier gebraucht werde. Schließlich ist mein Vater tot, und ich habe zwei kleine Geschwister, und dann …« Er brach ab. »Ich will nicht weg«, flüsterte er. Seine Lippen bewegten sich ohne einen Ton, aber Lina verstand ihn auch so.
Von dir.
»Ich weiß«, sagte Lina leise. Sie hätte so gern noch viel mehr gesagt, doch die Kinder standen dabei. »Aber irgendwann musst du sowieso hin, da ist es besser, wir bringen es jetzt hinter uns.«
»Da hast du wahrscheinlich recht.« Er seufzte erneut und sah Lina an. »Wirst du alles allein hinkriegen?«
Sie nickte, mit mehr Zuversicht, als sie in Wirklichkeit verspürte. »Natürlich. Gleich hole ich Sophie bei den Tucketts ab. Und davor …« Sie zögerte. Die Kinder mussten nicht alles wissen, was in der Wildnis passiert war. Dass Seip ihnen gefolgt war, hatten sie ihnen nicht erzählt. »… erledige ich noch, was wir besprochen haben.«
Alexander verabschiedete sich von Rieke und Julius und schärfte den beiden noch einmal ein, Lina zu gehorchen. Dann kam er zu ihr. Eigenartig befangen standen sie einander gegenüber. Lina hätte ihn gern umarmt und geküsst, aber da die Kinder dabeistanden, wagte sie es nicht. Die beiden grinsten ohnehin schon wie zwei Honigkuchenpferde. Und so schüttelte sie ihm nur förmlich die Hand. Ein Kribbeln überlief sie, als er mit dem Daumen ihren Handrücken streichelte.
»Pass gut auf dich auf«, sagte sie. »Ich denke an dich«, flüsterte sie dann noch lautlos.
Er nickte wortlos. Dann schulterte er sein Bündel, drehte sich um und ging rasch die Straße hinunter, als hätte er es eilig, von hier zu verschwinden. Oder als wollte er nicht, dass sie sein Gesicht sah.
Kurz vor der Biegung drehte er sich noch einmal um und winkte, dann verschwand er aus ihrer Sicht.
Lina fühlte sich plötzlich so elend, dass sie mit den Tränen kämpfen musste.
Ein paar kleine Finger schoben sich in ihre Hand. »Du
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