Die roten Blueten von Whakatu - Ein Neuseeland-Roman
war sichtbar zurückgegangen und auch die Schmerzen waren fast verschwunden. Der Maori bestrich das Gelenk erneut mit dem Pflanzenbrei und verband es wieder.
Dann ließen sie das Boot zu Wasser. Für ein paar ängstliche Augenblicke bezweifelte Lina, dass das mokihi sie alle wirklich tragen würde. Tatsächlich sank es gefährlich tief ein, als Te Raukura als Letzter hineinkletterte. Aber es schwamm.
Der Rückweg nach Nelson war weitaus schneller und komfortabler als der Hinweg, schließlich trug sie diesmal die Strömung flussabwärts. Sie mussten lediglich darauf achten, das mokihi mit ein paar behelfsmäßigen Paddeln in der Flussmitte zu halten. Würden sie zu nah ans Ufer kommen, würde der Binsenkiel zu schnell vom sandigen Flussbett aufgerieben werden.
Sie hatten sich noch nicht lange den schmalen Fluss hinuntertreiben lassen, als das Gewässer eine große Biegung machte. Te Raukura lenkte das Binsenkanu ans Ufer. Ab hier, so erklärte er ihnen, führe dieser Fluss für sie in die falsche Richtung. Also hieß es laufen – nur Lina durfte wieder auf Te Raukuras breiten Rücken steigen. Sie ließen das mokihi am Ufer und mussten dann noch eine gute Stunde über Stock und Stein laufen, bis erneut Wasser vor ihnen glitzerte: der Maitai. Schnell hatten sie die Stelle erreicht, wo sie damals zu Fuß weitergegangen waren. Die beiden waka, die sie dort vor zwei Tagen im Schutz der Uferböschung hatten liegen lassen, waren noch dort. Ein paar erste Ranken hatten bereits begonnen, die Boote zu umschlingen.
Hier verabschiedete sich Te Raukura von ihnen. Mit jedem von ihnen tauschte er das hongi, presste Nase und Stirn mit ihnen zusammen und strich ihnen über den Kopf. Lina war traurig, dass der große Maori sie verlassen würde. In den vergangenen zwei Tagen war er für sie alle zu einem guten Freund geworden. Sie würde ihn vermissen.
» Kia kaha, Terina«, sagte er zu Lina. »Sei stark.«
Sie nickte und lächelte. » Haere ra .« Leb wohl.
Te Raukura winkte und war im nächsten Moment zwischen den Bäumen verschwunden.
Es war noch hell, als sie mit den beiden waka in Nelson ankamen – die Kinder vorneweg, Lina und Alexander hinter ihnen. Und so entspannt sich die Rückfahrt heute auch gestaltet hatte, so froh war Lina, als sie die vertrauten Häuser und Hügel der kleinen Stadt wiedersah und schon bald darauf anlegen und wieder auf festen Boden gehen konnte.
Während Alexander das geliehene waka zu Cordt Bensemann zurückbrachte, ging Lina mit Rieke und Julius langsam nach Hause. Auf einen Stock gestützt, humpelte sie die Straße entlang. Alexander hatte ihr zwar angeboten, dass sie warten solle, bis er den Karren geholt habe, aber das hatte sie abgelehnt. Ihr Fuß tat schließlich kaum noch weh. Vereinzelt begegneten ihnen Leute. Hier und dort erschollen Rufe, aus einem Wirtshaus drang lautes Gelächter. Es war Freitagabend, die meisten Einwohner bereiteten sich auf den Feierabend vor.
Kurz bevor sie den Weg erreicht hatten, der zum Haus der Trebans führte, holte Alexander sie wieder ein.
»Na los, lauft schon«, sagte er zu Julius, der ihn sehnsüchtig ansah. Das ließen sich die Kinder nicht zweimal sagen. Wie zwei junge Hunde stürmten sie ausgelassen den ansteigenden Weg hinauf und verschwanden aus ihrer Sicht, wo die Straße um die Kurve ging. Lina lächelte. Wenn Julius schon wieder so rennen konnte, war er wohl wirklich gesund.
Alexander war stehen geblieben.
»Endlich«, seufzte er. »Sophie können wir morgen abholen, was meinst du?«
Lina nickte. »Ich muss dir noch etwas sagen«, begann sie leise. Dabei hatte sie keine Ahnung, wie sie die Sache mit der Hochzeitsnacht formulieren sollte, die nicht stattgefunden hatte.
»Das kann warten«, murmelte er und zog sie näher an sich. »Wer weiß, wann wir das nächste Mal alleine sind.« Im nächsten Moment spürte sie seine Lippen auf ihren.
Selig und mit pochendem Herzen versank sie in seiner Umarmung. Sie vergaß die Zeit, vergaß, wo sie war, und alles um sich herum. Er war da. Alles war gut.
Bis sie ein Geräusch aufschrecken ließ: schnelle Schritte von Kinderfüßen, die die abschüssige Straße heruntergerannt kamen. Hastig fuhren sie auseinander.
Im nächsten Moment bogen Julius und Rieke auch schon um die Kurve.
»Was ist los? Ist etwas passiert?«, fragte Alexander alarmiert.
»Ein Brief«, keuchte Julius und wedelte mit etwas Hellem in seiner Hand. »Er steckte an unserer Tür. Er ist für dich!«
Der mehrmals gefaltete und
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