Die Rückkehr der Königin - Roman
...
Anghara musste schmerzhaft Luft holen, als sie das Herrenhaus zwischen den Bäumen auftauchen sah. Andere Erinnerungen drängten sich auf – kalte Verbannung, Verwirrung, Schmerzen und Unverständnis über das, was mit ihr geschah. Und dann, was sie an diesem Ort gefunden hatte.
Willkommen zu Hause .
Anghara hatte Cascin nie so gesehen, bis Adamo und Mical es draußen im Wald gesagt hatten. Dieses Wort hatte immer zu Miranei gehört – zu dem Miranei, dessen vollständiges Bild sie immer im Herzen getragen hatte, seit sie es mit neun Jahren verlassen musste, auf der Flucht vor einem Wirbelsturm. Doch nun stellte sie fest, dass es ganz leicht war, sich Cascin von den Quellen als Zuhause zu denken. Trotz aller Umstürze und brennender Erinnerungen, die mit diesem Ort verbunden waren, war es auch Schauplatz für so viele schöne Dinge gewesen. Angharas Eltern waren immer distanziert gewesen – ihr Vater hatte sie zwar vergöttert, aber zu wenig Zeit gehabt, um sie mit einem kleinen Mädchen zu verbringen. Ihre Mutter konnte zwar um das Leben und das Erbe ihres Kindes wie eine Tigerin kämpfen, und liebte sie sehr, aber dennoch war sie in erster Linie Königin und erst danach Mutter. Anghara hatte durch ihre Flucht nach Cascin ihre ganze Welt zurückgelassen – aber sie hatte eine Familie gefunden.
Im nächsten Moment wurde ihr bewusst, dass sie sie alle wieder verloren hatte – alle außer dem Kind Drya, das zu klein gewesen war, als dass zwischen ihnen eine dauernde Beziehung hätte entstehen können, und diesem jungen Mann, der neben ihr ritt, und seinem großartigen, wenngleich leicht reizbaren Zwilling. Es gab noch mehr in Cascin außer Erinnerungen und Träumen. Es gab Gräber.
Sie wandte sich an Adamo. »Ich komme ein bisschen später zum Haus«, sagte sie. »Ich möchte zuerst zur Gruft.«
»Die Toten bleiben dir auch später noch«, sagte Adamo und sah sie sanft an. »Es wäre besser ...«
»Ich könnte nicht ruhen«, unterbrach sie ihn. »Nicht bis ich bei ihnen war.«
»Nun gut«, sagte Adamo nach einer kurzen Pause. »Dann bringe ich dich hin.«
»Adamo ... ich möchte allein gehen.«
Er schwieg kurz, dann lächelte er und streckte die Hand aus, um ihre Wange zu streicheln. »Verstehe«, sagte er. »Ich warte bei der Quelle auf dich.«
»Ich kenne den Heimweg«, erklärte Anghara und lächelte ihn mit Grübchen an. »Du musst nicht mitreiten und mich bewachen. Ich bin sicher, deine Männer sind hier überall im Wald.«
»Wenn du unsere Brynna wärst, würde ich dich allein lassen«, meinte Adamo. »Aber du bist nicht länger Brynna; du bist Anghara Kir Hama, und du wirst nie wieder allein sein.«
Hama dan ar’i’id . Diese Redensart ging ihr durch den Kopf, ein heißer Wüstenatem wehte in dieses nebelige Land aus Moos, Farnen und sprudelnden Bächen. In der Wüste bist du nie allein ... du wirst nie wieder allein sein .
Anghara nickte und ergab sich in das Unausweichliche. Adamo rutschte im Sattel hin und her. »Es wird dich niemand stören. Geh und begrüße sie. Ich warte auf dich.«
Sie blieb nicht lange, denn an diesem Ort waren die Geister sehr lebendig. Für sie noch mehr, da sie keine gewöhnliche Trauernde war. Sie hatte das Zweite Gesicht und wusste, wie Chella gestorben war. Und Chellas Geist war ruhelos und überall, dennoch würde sie ihre Nichte nie für ihren Tod verantwortlich machen, deren turbulentes Leben das ihre so stark geformt hatte. Lyme lag in der Krypta neben seiner Gemahlin, aber ein anderer ruheloser Geist war in dieser Gruft spürbar, obwohl seine Gebeine nicht hier begraben lagen. Ansen lag irgendwo weit entfernt von seiner Familie – dennoch war sein zorniger, missmutiger Geist ebenso Teil dieses Ortes wie alle anderen, deren vermodernde sterblichen Überreste unter den grauen Steinplatten ruhten. Es war eine unruhige Grabstätte, und diese Unruhe spiegelte sich in Angharas Augen, als sie zu Adamo zurückritt. Er war abgestiegen und saß auf einem vom Sturm gefällten Baumstamm mit einem Stamm hinter sich als Lehne. Allem Anschein nach war er völlig entspannt und ruhig, hatte die Augen geschlossen. Aber sein Kopf drehte sich minimal beim Klang des Hufschlags. Als er gleich darauf die Augen öffnete, blickten sie verständnisvoll.
»Ich hätte dich warnen sollen.«
Anghara lachte trocken. »Rochen hat gesagt, dass es hier spukt.«
»Nicht im Haus«, erklärte Adamo bestimmt und stand auf. »Aber hier ... ich spüre ihn immer, und er ist stärker als
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