Die Rückkehr der Königin - Roman
weniger war, diese Pläne in die Tat umzusetzen, ehe Sif zurückkam. Sie mussten schnell arbeiten und das wussten sie – dennoch mussten sie der Versuchung widerstehen zu hetzen. Ein schlampiger Plan konnte fehlschlagen – und es würde keine zweite Chance geben.
Sie brauchten mehrere Tage, um den Anfang ihres Vorhabens auszuarbeiten. Am Ende dieser Tage stattete Anghara den Familiengräbern einen weiteren Besuch ab. Dieses Mal wurde sie von einem unerwarteten Geist begleitet. Neben der mit einer Steinplatte versiegelten Nische, in der sich die sterblichen Überreste von Rimas Mutter befanden, Angharas Großmutter, die sie nie kennengelernt hatte, erinnerte sich Anghara lebhaft an ihren ersten Besuch an diesem Ort. Es war nur ein paar Tage nach ihrer Ankunft als verwirrte Neunjährige in Cascin gewesen. Damals hatte March sie begleitet und ihre Hand zu einer bestimmten handgemeißelten Verzierung im Fries geführt, das den Grabstein ihrer Großmutter schmückte. Er zeigte ihr, wie das Stück Stein herausglitt und ein langes, enges Versteck preisgab. Sie holten eine Handvoll Schätze aus Rimas Kindheit hervor. Einen Moment lang war Anghara von diesem plötzlichen Einblick in die Vergangenheit ihrer Mutter abgelenkt. Doch die Nische war schnell leer und wartete auf den nächsten Schatz, den sie behüten sollte – das Dokument, das mit den Siegeln des Kronrats beschwert war. Anghara hielt es mit beiden Händen, als sei es zu schwer, um nur mit einer gehalten zu werden. In gewisser Weise war es das auch – es war der Beweis und die Garantie ihres Erbes, das ihre Krönung bezeugte. March hatte es genommen und behutsam und mit Ehrerbietung in die schmale Öffnung gelegt; sie hatten den Stein wieder an seinen Platz geschoben und somit das Dokument in seinem Geheimversteck versiegelt. Niemand konnte davon etwas ahnen; wer nicht genau wusste, wo er suchen musste, müsste schon die Gräber Stück für Stück auseinandernehmen, um das Dokument zu finden.
Jetzt, als Anghara es hervorholte, hörte sie Marchs Stimme, die über die Jahre hinweg zu ihr schwebte. »Eines Tages wird das dich heimführen, Prinzessin.«
Und nun war dieser Tag gekommen. Selbst Kieran wusste nichts von dem hier – allein die Existenz des Dokuments nahm ihm die halbe Arbeit ab. Das Ziel war schon Jahre vorher festgeschrieben worden, ehe er für all das zu kämpfen begann, was darin enthalten war. Als Anghara dem Kriegsrat davon berichtet hatte, fühlte er sich für einen kurzen Moment verraten, wie damals, als er zum ersten Mal erfuhr, dass Anghara nicht die unschuldige Ziehschwester war, für die er sie gehalten hatte und die ihm ihre geheime Identität nicht anvertraut hatte. Aber dann – wie zuvor – schämte er sich, dass er sie für Geheimnisse verantwortlich machte, die andere ihr anvertraut hatten. Er dachte nicht mehr an das Dokument, als eine weitere Tatsache, die sie vor ihm geheim gehalten hatte, sondern baute es konstruktiv in ihre Pläne ein.
Rochen wurde beauftragt, das Dokument in die Festung unter dem Berge zu bringen und sicherzustellen, dass es allgemein bekannt wurde, ehe Anghara persönlich in Miranei Einzug hielt. Er verließ Cascin innerhalb einer Stunde mit dem kostbaren Pergament, das in einen Kokon aus gelber jin’aaz-Seide aus Kheldrin gewickelt war. Der Rest traf Vorbereitungen für die eigene Abreise, auf zwölf Tage von jetzt festgelegt – sie mussten das Lager im Wald von Cascin abbauen und eine Kampftruppe aufstellen, die wie die Pfeilspitze eines neues Gottes vorrückte, jederzeit bereit loszuschlagen – das Ziel zu treffen oder beim Versuch unterzugehen.
Adamo, Kieran und Anghara, der Sohn Cascins und die beiden, die hier als Ziehkinder aufgewachsen waren, hatten sehr wenig Zeit für sich selbst. Abends gelang es ihnen, eine oder zwei Stunden herauszuschinden, in denen sie am Feuer saßen und über alte Zeiten sprachen, von anderen Dingen als den Kämpfen, die vor ihnen lagen – aber diese Kämpfe waren allgegenwärtig und es erwies sich als schwierig, sie aus den Gedanken zu verdrängen. Zu schnell war die Zeit vergangen, und Cascin war bereit, sie ziehen zu lassen. Am Abend vor ihrem Aufbruch ritt Anghara zur Familiengruft – vielleicht zum letzten Mal – um sich zu verabschieden. Sie ritt allein, trotz Adamos Warnung – jedenfalls glaubte sie das.
Mit einem seltsamen Gefühl der Geschichtsträchtigkeit folgte Kieran ihr zur Familiengruft, wo sie – seiner Meinung nach – schon zu lange war. Er fand
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