Die Rückkehr der Königin - Roman
sie, an den Grabstein ihrer Großmutter gelehnt. Sie weinte und blickte in Richtung Miranei.
»Was ist los?«, fragte er plötzlich voller Angst.
»Es hat angefangen«, sagte Anghara leise, sodass er sie kaum verstehen konnte. Ihre Stimme wurde von den Tränen fast erstickt. »Ich habe gespürt, wie sie sterben ...«
»Wer?«, fragte Kieran. Ein eiskalter Schauer lief ihm über den Rücken, als er an all seine Freunde dachte, die in dieser Stunde der Abrechnung in Miranei waren.
»Ich kenne sie nicht. Einige sind ... Sifs Leute. Aber Rochen ...«
Kieran packte sie an der Schulter. Nie wäre ihm der Gedanke gekommen, ihre Worte anzuzweifeln. »Was ist mit Rochen? Ist er ... tot?«
»Nein ... ich kann nicht sagen, ob das bereits geschehen ist oder noch geschehen wird – aber ich habe ihn totenblass liegen sehen, mit einem dicken blutigen Verband um die linke Schulter ... nein, nicht tot!« Sie schrie auf, als Kierans Finger sie so hart drückten, dass es schmerzte. »Verwundet – aber da ist Blut – da ist so viel Blut ...«
Sie schwankte, er fing sie auf und schloss sie eng in die Arme. Dann barg er das Gesicht in ihrem Haar, als sie sich mit beiden Händen in den Stoff seiner Tunika verkrampfte. Hier in diesem Zauberkreis, wo ihre Kindheit an ihnen hing, war Kieran immer noch das Bollwerk, an dem alle Widrigkeiten zerbrachen. Er hatte immer noch die Macht, sie vor allem zu beschützen, selbst vor den Albträumen, die ihr das Zweite Gesicht entgegenschleuderte. In seinen Armen beruhigte sie sich, ließ die Tunika los und glättete sie mit einem unterdrückten Schluchzen.
»Ein Glück, dass ich die Männer nicht selbst in die Schlacht führe«, sagte sie. Es klang wie ein Vorwurf. »Diese Anfälle kommen, wann sie wollen ...« Sie schniefte und wischte sich mit dem Handrücken die Tränen von den Wangen. Dann hob sie den Kopf und lächelte. Es war, als bräche Sonnenlicht durch Regenwolken. Kleine Locken ringelten sich um ihr Gesicht, ihre Augen waren gerötet, auf den Wangen Tränenspuren – trotzdem war sie nie so wunderschön gewesen. Instinktiv schloss Kieran sie enger in die Arme, aber ausgerechnet an diesem Ort der Zuflucht, wo sie so stark war, nahm sie den Ursprung ihrer Kraft nicht wahr. Ihre Gedanken waren bereits weit weg, bei der Armee, die im Schutz der Bäume von Cascin auf das Signal zum Aufbruch wartete. »Sind sie bereit?«
»Wir brechen morgen früh auf«, antwortete Kieran und ließ sie los. »Sie werden kampfbereit sein. Aber wird mit dir alles in Ordnung sein?«
»Unter meinem eigenen Banner reiten, mit dir an meiner Seite und einer Armee im Rücken? Wie könnte ich mich da nicht gut fühlen?«
Es war schlichtes Vertrauen. Aber jetzt durfte er nicht mehr von ihr erwarten oder sie um mehr bitten – Kieran lebte von diesem Vertrauen seit Jahren. Aber das war gewesen, ehe ihm bewusst geworden war, dass er sie liebte. Ehe er wusste, dass Vertrauen nicht ausreichte.
Am nächsten Morgen bei Tagesanbruch hisste die Armee das uralte Banner von Kir Hama und ritt los. Auf ihrem Weg lag der Halas Han. Die einzige Straße nach Norden führte durch ihn hindurch. Sie fanden dort die übliche Menschenansammlung: Händler, Flussleute, fahrende Sänger und Reisende, die im han eine Rast einlegten. Außerdem war die Herberge von einer kleinen cheta von Sifs Männern besetzt. Diese Handvoll waren viel zu erfahrene Soldaten, als dass sie gegen eine Armee sinnlosen Widerstand geleistet hätten. Sobald sie begriffen hatten, wer unter dem Banner ritt, das sie für das ihres Herrn gehalten hatten, liefen die meisten zu Angharas Armee über. Der Rest war zu demoralisiert um zu kämpfen. Der laute Jubel, der beinahe das Dach des Hauses emporhob, sobald das gemeine Volk erfahren hatte, wer diese Armee führte, war mehr, als Charo sich hätte wünschen können.
Danach war es unmöglich für sie, unbemerkt weiterzuziehen. In allen Orten auf ihrem Weg erwartete man sie. Wo Sif stark war, begrüßte man sie, indem man die eigene Stärke zeigte. Anderenorts schallte ihnen lauter Jubel von den Einwohnern entgegen, die bereits selbst Sif Männer erledigt hatten. Jedes Mal marschierten sie weiter mit einer wachsenden Zahl von Männern, die Sif nur wegen des Kir Hama Namens gefolgt waren und die jetzt in stetig wachsender Zahl vortraten, um Anghara Treue zu schwören. Kieran entging nicht, dass viele von ihnen auch den neuen Gott Bran verehrten.
Es ließ sich nicht verhindern, dass Miranei längst von ihrem Kommen
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