Die Rückkehr der Königin - Roman
zustimmen, dass sie nicht mehr nur ein Mensch war. Sie war bereits über sich hinausgewachsen. Vor seinen Augen wurde sie zur Verkörperung einer Legende.
Als wäre eine Königin nicht genug.
Still stand er da. Dann suchte er in ihren Bündeln nach den letzten Resten des lais. Nach einer Vision würde Anghara Ruhe brauchen; zumindest heute Abend konnte er sie ihr verschaffen. Danach war sie auf sich allein gestellt.
Am nächsten Tag durchritten sie bei Sonnenuntergang die Ausläufer des Bodmer Walds, und waren am folgenden Morgen tief in seinen geheimen Wegen. Anghara beobachtete interessiert, wie Rochen und Kieran sich an Zeichen orientierten, die für alle anderen unsichtbar gewesen wären – sie ritten einen engen Pfad durchs Unterholz und kamen bei einer Lichtung heraus, wo man lagern konnte, oder sie wichen von einem breiten deutlichen Weg ab, hinein in scheinbare Wildnis aus Farnen und Gebüsch, um einen geheimen Pfad zu finden. Wenn man berücksichtigte, wie unwegsam das Gelände war, kamen sie unglaublich schnell vorwärts. Anghara erschrak fast, als sie auf Kierans Signal hin ihre Stute zügelte. Sie sah einen Mann, der einen waldgrünen Umhang trug und einen Langbogen in der Hand hielt. Er trat ihnen plötzlich aus den Bäumen heraus in den Weg.
»Ho, Mical«, sagte Rochen unbeeindruckt, als hätte er sich erst vor wenigen Stunden von dem Waldhüter getrennt. »Ich bringe Gäste.«
Micals Augen glänzten und wanderten von Rochen zu seinen Gefährten. »Gäste?«, rief er. Es war fast ein Freudenschrei. Das Protokoll war vergessen, als er Kierans Blick auffing. »Freunde! Und so unerwartet! Willkommen zurück, Kieran!« Dann fasste er sich, sank auf ein Knie und hob die Augen zu Anghara empor. »Willkommen, Mylady.«
»Ja, allerdings«, sagte eine andere, vertrautere Stimme. Adamo trug einen Umhang wie Mical. Er trat hinter seinen Mann. »Willkommen zu Hause.«
15
Rochen ritt voran und führte die kleine Truppe in das Lager im Wald hinter Cascin. Kieran folgte ihm, barhäuptig und mit einem leisen Lächeln auf den Lippen. Mical war auf seinem Wachposten geblieben. Den Schluss bildeten Anghara und Adamo in tiefem kameradschaftlichem Schweigen, das sie immer mit ihrem Vetter und Ziehbruder verband. Irgendein Instinkt hatte sie bewegt, sich die Kapuze tief ins Gesicht zu ziehen, daher ritt sie als zarte anonyme Gestalt dahin; durch diese kleine Verkleidung war sie Beobachterin und nicht die Beobachtete. Auf mysteriöse Weise war ihnen die Kunde ihres Kommens vorausgeeilt, aber offensichtlich nicht in allen Einzelheiten. Es war Kierans Name, mit dem sie begrüßt wurden, als sie ins Lager ritten. Zum ersten Mal sah Anghara ihn mit einer größeren Schar seiner Männer, und sie war gerührt und zugleich eigenartig erschüttert, die Zuneigung und die tiefe Hochachtung zu sehen, die die Männer aus den Zelten und Hütten trieb, um ihn willkommen zu heißen. Sein Pferd war zehn Mann tief umringt, die alle lächelten und jauchzten; Kieran kannte die meisten beim Namen und hatte ein warmes Lächeln für diejenigen, die er noch kennenlernen musste.
»Sie lieben ihn«, murmelte Anghara.
»Du bist die Kerze, die er ihnen entgegenhält, doch ist es seine Hand, die das Licht trägt«, sagte Adamo ausnahmsweise seltsam beredt. »Ja, sie lieben ihn.«
Anghara blickte ihren Gefährten an und war nicht überrascht, auf seinem Gesicht nicht weniger Stolz und heiße Zuneigung zu sehen als bei den Männern ringsum. Zu Adamo und Charo war ihr Bruder Ansen oft herablassend und überheblich gewesen. Kieran war auch nicht immer der perfekte ältere Bruder gewesen, aber trotz seiner gelegentlichen Ungeduld hatte er ihnen stets näher gestanden als es Ansen je gelang. Die beiden jüngeren Cascin-Söhne hatten Kieran seit frühester Kindheit als Helden verehrt und waren ihm wie Schatten gefolgt, sobald sie alt genug waren um zu laufen. Die Taurinzwillinge waren unter den ersten seiner Truppe gewesen; sie waren noch immer die jüngsten in gehobener Stellung – allerdings kamen Kieran zuweilen Zweifel bezüglich Charos Eignung als Anführer und Vorbild, obwohl dieser unzweifelhaft brillante Momente mit viel Mut hatte.
Doch nun hatte Anghara nicht die Zeit zu sinnieren und nachzudenken. Es gab Männer in der Menge, die zwar nicht genau wussten, wo Kieran gewesen war, aber mit wem er fortgegangen war. Neugierige Augen hefteten sich auf die verhüllte zarte Gestalt auf dem Pferd. Dann drehte Kieran sich um und fing Adamos Blick
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