Die Rückkehr der Königin - Roman
sehen, was ich tun kann. Wenn ich eine Gruppe mitnehme ...«
»So wenige wie möglich«, unterbrach sie al’Tamar, ruhig aber beharrlich. »Am liebsten möchte ich, dass wir allein gehen, aber wenn das nicht möglich ist ...«
»Ist es nicht«, fiel Anghara ihm mit liebenswürdigem Lächeln ins Wort. »Der Hof wäre allein schon bei dem Gedanken völlig entsetzt. Und bei einem Notfall hättest du keinen blassen Schimmer, was im Schnee zu tun ist.« Sie machte eine Pause und musterte al’Tamar. »Na schön. Ich bin neugierig. Außerdem hat mich das Leben gelehrt, sich dem Zweiten Gesichts nie in den Weg zu stellen. Wir nehmen nur einen mit, und er ist ein Freund.«
»Deinen Kieran?«
Sie wollte den Besitz kokett bestreiten, aber etwas in al’Tamars Stimme ließ sie diese Absicht herunterschlucken. Stattdessen nickte sie nur.
»Das ist gut«, meinte al’Tamar ernst. »In letzter Zeit hast du ihn sehr wenig gesehen.«
»Ja, nicht viel«, gab sie zu. »Ich scheine nie einen Augenblick für mich zu haben – sobald ich den Fuß aus meinem Gemach setze, werde ich von jemandem gestellt, und alles scheint wichtig zu sein ...«
»Dann ist er nicht mehr die ganze Zeit bei dir?«
Sie schüttelte schuldbewusst den Kopf. Sie hatte sich immer ganz auf Kieran und die Taurinzwillinge verlassen; aber jetzt hatte Kieran eigene Verpflichtungen, weitgehend aufgrund ihrer Erwartungen. Ihre Wege kreuzten sich nicht mehr so oft, wie Anghara es sich gewünscht hätte. Es war nicht so, als würde er sie meiden, aber er schien öfter Dienst zu haben als sonst, und selbst, wenn er nicht Dienst hatte, gab es immer etwas, um das er sich kümmern musste.
»Dann ist es gut, dass er mitkommt«, sagte al’Tamar. »Wie weit ist es zum See?«
»Im Sommer vielleicht etwas mehr als eine Stunde – ein lockerer Ritt. Jetzt ... ich habe keine Ahnung. Und wir müssen auf das Wetter achten. Ich will nicht auf dem Berg von einer heranziehenden Sturmfront erwischt werden.«
»Das überlasse ich dir. Du kennst dieses Land«, sagte er. »Wenn du Bescheid gibst, bin ich bereit.«
Kieran hatte schon längst gelernt, von nichts mehr überrascht zu sein, das Anghara tat, und nahm die Neuigkeit von dem Ausflug mit erstaunlicher Gelassenheit auf. Anghara würde die Expedition den richtigen Weg führen, aber Kieran trug die Verantwortung. Er traf die entsprechenden Vorbereitungen.
Die Berge über Miranei waren in Angharas Blut, und sie kannte deren Launen. Aber schließlich war es Kieran, der den Zeitpunkt für den Aufbruch festlegte und eine Atempause des Winterwetters nutzte. Für einen Wintertag war es warm; aber die Nächte im Gebirge waren eisig. Als sie am frühen Morgen bei Fackelschein im perligen Halblicht der Morgendämmerung die Festung verließen, lag noch ein Hauch dieser Eiseskälte in der Luft. Es war irgendwie albern, dass al’Tamar über der unteren Gesichtshälfte seinen Wüstenschleier trug. Die kalte Luft, die ihm im Hals schmerzte, wenn er atmete, würde noch schärfer werden, je höher sie stiegen. Kierans und Angharas Atem bildete dicke Wolken vor ihren Gesichtern.
»Das ist verrückt«, murmelte Kieran immer wieder während der ersten Stunde des Ritts. Die Sonne war aufgegangen und schien durch die Bäume über ihnen auf die riesigen weißen Flächen. »Stellenweise muss der Schnee hüfttief sein – al’Tamar, bist du sicher, dass du nicht lieber nach der Schneeschmelze zurückkommen willst? Dieser Ort ist keine flüchtige hai’r, die verschwinden könnte. Auch im Frühjahr ist das Wasser noch da und du kannst es sehen.«
»Im Frühling ist es zu spät.«
»Zu spät wofür?«, fragte Kieran.
»Für euch«, antwortete al’Tamar und blickte ihn mit unergründlicher Miene an. Seine goldenen Augen funkelten unter der Kapuze aus weißem Fuchspelz.
Kieran musterte ihn mit einem langen besorgten Blick. Das klang nach Zweitem Gesicht, und Kieran wusste, dass alle Maßnahmen gegen das Zweite Gesicht völlig wirkungslos waren; außerdem traf ihn die Bemerkung bis ins Mark. Er hatte einen Punkt erreicht, an dem eine schmerzliche Entscheidung anstand, und al’Tamar klang, als kenne er die Gedanken, die Kieran während der langen Winternächte wachhielten.
Der Weg war für die Pferde schwierig, aber nicht unpassierbar. Sobald Kieran sich vergewissert hatte, dass das Abenteuer sicher durchgeführt werden konnte, entspannte er sich ein wenig und genoss den klirrend kalten Wintertag. Der Himmel war intensiv blau, im
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