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Die Rückkehr der Königin - Roman

Die Rückkehr der Königin - Roman

Titel: Die Rückkehr der Königin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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scheu durch das hohe Gras lugten. Weiß wie die Gewänder, die die Schwestern von Bresse getragen hatten.
    Anghara glitt aus dem Sattel und ging steifbeinig zu dem, was das Fundament des Turms gewesen war. Die Erde war über der Treppe zu dem Tunnel, durch den sie entkommen war, eingebrochen. Das gesamte Gelände hatte sich für immer verändert, aber Anghara ging unbeirrt zu der Stelle, wo früher die Treppe im Turm gewesen war. Dann hob sie die Augen und stellte sich die Treppen in die Korridore vor, wo sie zum ersten Mal gelernt hatte, ihre wilden Gaben zu bändigen.
    »Ach, Morgan ...«, flüsterte sie. »Wo bist du jetzt ...«
    Feor hatte gesagt, dass in Bresse eine Botschaft zurückgelassen worden war, für diejenigen, welche die Sinne hatten, sie zu hören. Eine Botschaft, die verkündete, was hier geschehen war und in welchem Namen; und ein letztes Testament. Die junge Königin lebt . Anghara bemühte sich mit jeder Faser, mit jedem angespannten Nerv, aber sie konnte nichts hören außer dem Seufzen einer Brise im hohen Gras und gelegentlichem Rascheln in den Bäumen. Vielleicht war die Botschaft nach so vielen Jahren verblasst ...
    Doch obwohl sie Morgans Stimme nicht hörte, auch nicht Morgans Worte, wusste sie tief im Inneren, dass diese immer noch da waren und an diesem Ort umhergeisterten und das, solange die Welt fortdauerte. Und die Qual, taub zu sein, sie nicht hören zu können, zerriss sie, sodass sie mit einem Schrei aus furchtbarer Seelenpein inmitten der Ruinen auf die Knie sank. Kieran hatte sie mit ihren Geistern alleingelassen. Jetzt lief er herbei und kniete neben ihr nieder. »Genau deshalb wollte ich nicht diesen Weg nehmen«, sagte er. Seine Stimme war voller Mitgefühl, als er ihr behutsam die Hand auf die Schulter legte.
    Anghara drehte den Kopf und barg ihn an seiner Schulter und schluchzte. Sie hatte so viel zu sagen, vermochte aber kein Wort herauszubringen. Kieran respektierte ihr Schweigen, hielt sie nur fest und gab ihr den Trost seiner Anwesenheit, weil er nicht wusste, was er ihr sonst hätte geben können.
    »Glaubst du, dass ich sie je wieder hören kann?«, fragte sie traurig nach einer Weile und rieb sich die verweinten Augen.
    »Ich sehe nicht, warum es anders sein sollte«, antwortete Kieran fest, obwohl er keine Ahnung hatte, wovon sie sprach. Aber es schien zu wirken. Anghara stand auf und wischte sich Zweige von den Knien.
    »Komm«, sagte sie. Plötzlich wollte sie sofort weiterreiten. »Ich kann nicht ... kann diesen Ort nicht ertragen. Hier gibt es zu viel ... an das ich mich erinnern kann ... zu viel, das ich nicht erreichen kann.«
    »Ich bin ganz deiner Meinung«, sagte Kieran schnell. Ihm gefiel ganz und gar nicht, wie sie aussah. Der Wahnsinn wirbelte wieder in ihren graublauen Augen, als sie die Ruinen des Weißen Turms anstarrte. Es hasste es, wenn sie so entrückt sprach. Es trennte sie mit einer fast körperlichen Barriere, die er niemals erklimmen oder verstehen konnte. Da bestand keinerlei Hoffnung. Es würde ihm nicht leid tun, wenn die Khelsies sagen würden, dass der Schaden nicht zu beheben sei und sie lernen müsse, ohne die gefährliche, aufwühlende Gabe des Zweiten Gesichts zu leben ... doch dann erschrak er zutiefst. Genau das waren Sifs Gedanken, Sifs Feldzug der Vernichtung, gegen den Kieran die letzten vier oder fünf Jahre gekämpft hatte. Was denke ich da nur? , fragte er sich entsetzt. Würde ich tatsächlich etwas wegwerfen, das jemand, den ich liebe, so hoch einschätzt, nur weil ich es nicht verstehen kann?
    In einem Punkt zumindest hatte Anghara Recht. Sie sollten diesen Ort so schnell wie möglich verlassen. Er tat keinem von ihnen gut.
    In den Vorbergen gab es auch Patrouillen, aber die Grenzelinie war viel zu lang, als dass man jede Erhebung mit einem Soldaten besetzen konnte. Ungesehen schlüpften sie hinüber und erreichten an Kierans Geburtstag Shaymir, eine Tatsache, die er eigenartig symbolisch fand.
    Hinter den Vorbergen senkte sich das Land und bildete Moore, die nicht viel anders waren als die, welche sie in Roisinan zurückgelassen hatten.
    »Ich dachte, es sei ein Wüstenland«, meinte Anghara, die nie in Shaymir gewesen war.
    »Du wirst noch genügend Wüste zu sehen bekommen«, erklärte Kieran. Die Worte klangen irgendwie vertraut. Anghara ging den Nebel verschwommener Erinnerung durch, dann erinnerte sie sich an ai’Jihaar – ai’Jihaar auf dem Schiff. Die gleichen Worte waren zu Beginn ihrer letzten Verbannung

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