Die Rückkehr der Königin - Roman
Selbstverleugnung. In einer langsamen Bewegung, voller Würde und Schmerz, legte al’Tamar die Zügel über den Sattel des ki’thar und entfernte mit beiden Händen den say’in, den er für Anghara angefertigt und so lange getreu bewahrt hatte. Mit einem letzten Blick streckte er ihn Kieran entgegen. »Dies wird weitergegeben«, erklärte er. »Wenn die sen’en’thari kommen ... allein die Götter wissen, wo ich dann sein werde. Und es gehört ihr. Würdest du es ihr für mich überreichen?«
Kieran hätte noch viel zu sagen gehabt, aber in der bedeutungsschweren Wüstenluft mochte er keine Plattitüden von sich geben. Hier draußen war die Wahrheit hart, und es gab nur eine Wahrheit. Kieran nahm das Geschenk an, weil er nichts anderes tun konnte. »Das werde ich«, versicherte er al’Tamar.
Mit großem, beinahe königlichem Stolz verneigte sich al’Tamar vor ihm im Sattel und erwies ihm den anmutigen Gruß der Wüste. Dann nahm er die Zügel des Kamels. » Akka! «, rief er. Das schwerfällige Tier rollte missmutig die Augen und verfiel in einen schlenkernden Trab.
Kieran schaute ihm nach, bis er nur noch ein glitzernder Fleck am vor Hitze wabernden Horizont war. Dann machte er kehrt, streifte den say’yin über den Kopf und verbarg ihn unter seinem Gewand, ehe er wieder ins Zelt trat.
»So, du bist also ihr Kieran«, sagte ai’Jihaar freundlich, als er die Zeltklappe fallen ließ. In dem Moment, als sich seine Augen nach der grellen Helligkeit erst an das kühle Halbdunkel im Zelt gewöhnten, klang ihre Stimme wie körperlos. Als er wieder sehen konnte, waren die leeren Augen direkt auf ihn gerichtet, ebenso genau, wie sie zuvor al’Tamir im Visier gehabt hatte. »Tritt näher.«
Kieran gehorchte, denn die schlichten Worte klangen wie ein Befehl. Ai’Jihaar streckte eine zitternde Hand aus und berührte sein Gesicht so zart, als sei es ein Schmetterling.
»Du hast ein starkes Gesicht«, sagte sie. »Und die Kraft, dich unbekannten Göttern entgegenzustellen. Ja, al’Tamar hat es mir erzählt«, sagte sie, als sie fühlte, wie er unter ihrer Hand zusammenzuckte. »Du weißt es nicht, aber es gibt nicht viele, die tun könnten, was du getan hast. Ihr eigener Kontakt zu den Göttern ist unterbrochen ... und dennoch hat sich zwischen ihnen über den Abgrund eine Brücke gebildet. Du. Du hast eine lebendige Rautenhaut in die Hand genommen, weil du jemanden liebst ... und das Gift konnte dir nichts anhaben.« Sie machte eine Pause. Ihre Hand lag eigenartig mütterlich auf seiner Wange, dann ließ sie sich wieder in die Kissen sinken. »Es gibt Dinge, die du mir sagen kannst. Angharas Verstand ist ein Kessel voller Verzweiflung und Schmerzen. Du musst erzählen, was du weißt.«
»Was soll ich euch sagen, Lady?«, fragte Kieran, von diesem Befehl verwirrt. »Alles«, antwortete ai’Jihaar und weigerte sich ihm zu helfen. »Beginn mit dem Anfang. Von dem Moment, in dem sie nach Sheriha’drin zurückgekehrt ist und eure Wege sich kreuzten.«
Kieran strich sich müde durchs Haar. »Das dauert ewig«, sagte er.
»Wir haben zwei Tage«, entgegnete ai’Jihaar. »Ihre Heilung kann davon abhängen, was du mir sagst. Lass nichts aus. Lass mich entscheiden, was wichtig ist. Fang an!«
Auch hierin lag eine verborgene Gabe. Die Bilder, die vor Kierans geistigem Auge erschienen, waren zu lebendig, um reine Erinnerungen zu sein. Es war, als lausche ai’Jitaar ihm nur mit einem kleinen Teil ihrer Konzentration. Mit dem Rest streckte sie ihre Fühler aus und nahm sich die Geschichte, die er erzählte, direkt aus seinem Kopf. Teilweise war sich Kieran dessen bewusst, und noch vor kurzer Zeit wäre er bei diesem schamlosen Eindringen in seine Gedanken ins Stottern geraten, doch jetzt akzeptierte er es ohne Bedenken. Ein anderer Teil von ihm war entsetzt, wie leicht er diese Berührung mit dem Übersinnlichen akzeptierte. Er spürte Kheldrins heimtückische Magie.
Ai’Jihaar unterbrach ihn nur ein einziges Mal, als sie die alte Dienerin rief, um Essen und Getränke bringen zu lassen. Nachdem sie gegessen hatten, nickte sie Kieran wortlos zu, damit er fortfuhr. Schließlich war er erschöpft und überrascht, dass Lampen um ihn standen, welche das Zelt mit tanzenden Schatten füllten. Seine Stimme brach an dem Punkt ab, als er Anghara von ihrem Kamel heruntergeholfen hatte. Erst jetzt gestattete sich ai’Jihaar einen tiefen Seufzer.
Sie bat um seine Hand, diejenige, mit der er das Blutopfer in den pfadlosen
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