Die Rückkehr der Königin - Roman
hatte die Kalabasse für einen weiteren Schluck genommen. Jetzt verschluckte er sich und musste heftig husten. Al’Tamar rettete den Kürbis, damit das kostbare Nass nicht im durstigen Sand versickerte, dann klopfte er Kieran auf den Rücken.
»Sie war Angharas Lehrerin«, sagte al’Tamar. »Sie ist die älteste der an’sen’thari und sehr weise. Anghara wusste genau, wo man ihr am besten helfen könnte. Aber ...« Al’Tamar streifte mit einem Blick das Zelt. »Ai’Jihaars Krankheit gefällt mir ganz und gar nicht. Es wäre besser gewesen, die ganze Angelegenheit vom Turm fernzuhalten – besonders, da ai’Farra nicht ...« Er brach ab und verzog sein Gesicht zu einer vielsagenden Grimasse. »Es gibt immer viel ... Politik«, fügte er hinzu.
»Glaubst du, dass jemand ihr schaden will?«, fragte Kieran schnell. Das Pronomen hatte seine Bedeutung gewechselt, er sprach nicht länger von ai’Jihaar. Jetzt befand er sich wieder mehr in seiner eigenen Sphäre. Wenn es jemanden gab, der Anghara ein Leid zufügen wollte, müsste dieser zunächst an ihm vorbei – und er war mehr als willig, sein Leben für sie zu geben. Er war schon in Roisinan dazu bereit gewesen und hier noch mehr, an diesem Ort, wo alles unbekannt war und ihm seltsam und irgendwie unheimlich vorkam.
»Nicht auf diese Art und Weise«, sagte al’Tamar, als er sah, wie Kierans Hand auf dem Schwertgriff ruhte. »Und sollte jemand versuchen, ihr körperliches Leid zuzufügen, muss er sich vor meinem Onkel, dem Sa’id, verantworten. Anghara ist dem Sa’id teuer. Sie heilte seinen Sohn von einer Wunde in der Wüste; sie stellte für ihn ein Orakel auf; und sie brachte seine Schwester zurück von al’Khur ... zu welchem Preis, wissen wir nicht.«
In Kierans Kopf drehte sich alles. »Dann war das alles ... wahr?«, flüsterte er. »Oben in den Bergen ... sie sprach von einer Begegnung mit al’Khur ... von entreißen ...« Er hatte Anghara nicht geglaubt, sondern ihre Geschichte von der Wiederbelebung in der Schwarzen Wüste für einen Traum gehalten, so wie sie die Türme von Miranei in Gestalt von Bergspitzen gesehen hatte. Doch jetzt hörte er aus anderem Mund die Geschichte und das untermauerte die Wahrheit. Anghara war einem Gott begegnet und hatte mit ihm gerungen – mit demselben Gott dessen Kraft – sofern er al’Tamir glauben konnte – Kieran und Anghara auf ihrem mühseligen Ritt durch die Berge zwischen den Welten am Leben erhalten hatte.
»Ja, es ist wahr«, sagte al’Tamar. »Und jetzt geh zurück; ai’Jihaar hat dich noch nicht entlassen. Ich bin derjenige, den die Pflicht ruft.«
Er wollte sich in den Sattel schwingen, als Kierans Hand auf dem Arm ihn aufhielt. Wieder – wie zuvor – bohrten sich ihre Augen ineinander, blau und golden; Kierans Gesicht war eigenartig sanft.
Eine Pflicht. Die Verlobungsfeierlichkeiten, die auf al’Tamar warteten; das Mädchen Rami, das »verstand«. »Liebst du sie?«, fragte Kieran und war sich wohl bewusst, dass er eine Grenze überschritten hatte, hinein in etwas, das tiefer war als gewöhnliche Kameradschaft. Er war sich jedoch sicher, nicht zurückgestoßen zu werden. Es war eine zweideutige Frage. Al’Tamar konnte wählen, wie er sie verstehen wollte.
Einen Moment lang trat deutlich das schmale bronzene Gesicht seiner Verlobten vor al’Tamars Augen, dann verblasste es und wurde zu einem weißen Antlitz mit großen grauen Augen. »Rami ist ein gutes Mädchen«, sagte er, trat einen Schritt beiseite und schloss die Augen, um die Vision zu vertreiben. »Ich werde es lernen.«
Dennoch hing ein unausgesprochenes »aber« in der Luft zwischen ihnen, und Kieran sprach es laut aus.
»Aber deine Königin haval’la wird für dich immer die Erste sein.« Die Ausdrucksweise der Wüste kam ihm leichter über die Lippen als erwartet.
Bei diesen Worten hob al’Tamar ruckartig den Kopf, als hätte man ihm einen Dolch in die Seite gestoßen. Er blähte die Nasenlöcher, dann lachte er, scharf und spröde. »Und du behauptest, nicht das Zweite Gesicht der Sheriha’drin zu haben? Für jemanden, der blind ist, kennst du dich in den Gehirnen anderer Menschen gut aus.« Er holte Luft und blickte zum Horizont. Dann kletterte er in den Sattel seines Kamels und schnalzte mit der Zunge, damit es aufstand. Von diesem Hochsitz schaute er hinab, in seinen goldenen Augen lag seine ganze Seele. »Pass gut auf sie auf!«, sagte er mit eiserner Kontrolle in der Stimme, aber Kieran hörte das Beben der
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