Die Rückkehr der Königin - Roman
weil sie so mit Angharas Gefühlen spielte.
»Wo ist sie ... ai’Jihaar?«, fragte er nur.
Anghara kicherte wie das junge Mädchen, das sie eigentlich war. »Ganz gegen ai’Fatmahs ausdrücklichen Rat vollzieht ai’Jihaar ihre täglichen Waschungen am Brunnen anstatt sich das Wasser bringen zu lassen. Sie ist beinahe fertig; und sie hat ai’Fatmah gebeten, danach eine Kleinigkeit fürs Mittagessen zu machen. Und danach«, wieder lachte sie, »kannst du gleich wieder ins Bett gehen, weil es Zeit für ein Mittagsschläfchen ist.«
»Und du?«
»Naja, ai’Jihaar will mich wohl wieder ausquetschen – sie hat mir eine unvorstellbare Menge Fragen gestellt, seit ich hergekommen bin.«
»Davon kann ich ein Lied singen«, meinte Kieran, der sich nicht zurückhalten konnte.
»Ach, du auch?«, sagte Anghara mit blitzenden Augen. »Dann bist du vielleicht an der Reihe. Ich finde schon etwas, um mich allein zu amüsieren. Außerdem bekommen wir demnächst Gäste. So wie ai’Jihaar ihren Bruder und die anderen sen’en’thari im Turm von Al’haria kennt, die al’Tamar holen soll, dürften sie morgen, wenn nicht sogar schon heute am späten Abend eintreffen.«
»Über all das weißt du Bescheid?«, fragte Kieran verblüfft. »Du hast fest geschlafen, als wir darüber gesprochen haben.«
»Eine sen’thar schläft nie wirklich. Ich glaube, ich habe viel selbst gehört, außerdem hat ai’Jihaar es mir gesagt.«
»Aber du hast gesagt, du bist blind ...«
Das Lächeln brach ab. »Das bin ich auch. Aber hier in der Kadun ... ich weiß nicht. Manches sickert durch. Hier und ... naja ... es ist wie damals auf der Flucht vor Sif, als ich die Stehenden Steine oberhalb des Moores gespürt habe.«
Er hatte ihr die gute Laune verdorben. Das tat ihm leid. Aber obwohl der Funke in ihr ausgelöscht war, blieb sie strahlend wie das Nachglühen von gelber Glut. Ja, sie war blind, aber ai’Jihaar hatte ein Seil der Hoffnung ausgeworfen, und Anghara hielt sich daran fest wie ein Ertrinkender an einem Strohhalm. Sie würde ihre Chance bekommen. Darauf wartete sie mit einer Gier, die sich in unbeobachteten Momenten in ihren grauen Augen spiegelte. Eine Gier, neben der kein Raum war für irgendetwas anderes – nicht für Roisinan, ihr Erbe, und gewiss nicht für ... wie hatte ai’Jihaar zu al’Tamar gesagt, ehe er ging? Für einen qu’mar in dieser Welt; und noch viel weniger für jemanden, der ihr seine Gefühle, die während der vergangenen Jahre unter so vielen Schichten verborgen lagen, nicht mit Worten offenbart hatte. Er konnte wirklich nicht erwarten, dass sie diese erriet.
Diese Gedanken waren ganz und gar nicht hilfreich. Kieran unterdrückte sie brutal und lächelte krampfhaft, teilweise aus Galgenhumor. »Dann erwartest du sie also heute Abend?«
»Möglich ist es«, antwortete Anghara so beiläufig, als spräche sie zu Herbstblättern auf der spiegelglatten Oberfläche eines tiefen, schwarzen Wassers.
»Ich frage mich, wie sie meine Anwesenheit hier aufnehmen werden«, meinte Kieran und verzog das Gesicht, als er sich das schwarze Haar aus der Stirn strich.
»Sie ...« Anghara brach abrupt ab und runzelte die Stirn, als hätte sie soeben einem abwegigem Gedanken erlaubt, sich für immer davonzumachen, wie Sand durch die Finger. Doch als Kieran fragend eine Braue hochzog, winkte sie ab. »Ich habe vergessen, was ich sagen wollte.« Sie blickte über die Schulter, als sich die Zeltklappe wieder öffnete und ai’Fatmah mit einem beladenen Tablett erschien, dicht gefolgt von ihrer Herrin. Heute trug ai’Jihaar ihr goldenes Gewand mit allen say’yin’en , die ihrem Rang zustanden. Wieder verneigte sich Kieran vor der unsichtbaren Macht, die in dieser kleinen, zerbrechlichen Frau pulsierte, ohne jegliche Rücksicht darauf, dass seine Geste völlig unbemerkt bleiben musste.
Damit hätte er Recht gehabt, wäre ai’Jihaar jemand anderer als sie selbst gewesen. Die alte an’sen’thar lächelte nur rätselhaft über etwas, das sie unmöglich gesehen haben konnte, und erwiderte die Geste.
»Ich bin ebenso deine Freundin, wie ich immer Angharas Freundin und Lehrerin gewesen bin«, sagte ai’Jihaar. »Zwischen uns sind keine Ehrenbezeugungen nötig. Komm, setz dich zu mir. Wir haben so wenig Zeit, bis die anderen eintreffen und wir tun müssen ... was getan werden muss. Aber solange wir allein sind, erzähl einer, die dein Land liebt, von dem grünen Sheriha’drin.«
»Leider war es in den letzten Jahren kein
Weitere Kostenlose Bücher