Die Rückkehr der Königin - Roman
besonders schönes Land mehr«, sagte Kieran.
»Das blutende Land«, sagte ai’Jihaar und nickte.
»Das Orakel«, erklärte Anghara, als Kieran fragend die Stirn runzelte. » Aus dem Dunkel das blutende Land flehend drängt . Das hat Gul Khaima mir gesagt, als ich fortging.«
»Das blutende Land«, wiederholte Kieran. »Ja, in der Tat.« Er blickte Anghara aus glühenden Augen an. »Ich habe immer geglaubt, dass du ...«
»Noch nicht, Kieran«, unterbrach ihn Anghara und hob die Hand. »Noch nicht. Vielleicht nie. Soviel hängt davon ab, was ... hier geschieht.«
»Aber du gehörst uns, was auch dabei herauskommen mag. Das war immer so. Und wir gehören dir. Das alles stand längst im Buch der Stunden geschrieben, ehe Sif es an sich gerissen hat, um seine blutige Herrschaft hineinzuschreiben.«
»Deine Gefühle ehren dich«, sagte ai’Jihaar. »Ohne dich wäre Anghara nie in der Lage gewesen zu wählen. Aber die Wahl bleibt in ihren Händen ... so wie die Macht etwas zu gewähren in den Händen der Götter liegt. Vergiss das nicht.«
»Für mich ändert sich nichts, ganz gleich, ob sie das Zweite Gesicht hat oder blind ist«, erklärte Kieran verzweifelt und schaute ai’Jihaar an. »Ich verstehe ersteres nicht und empfinde auch kein Mitleid beim zweiten; für mich bleibt sie Anghara, früher meine Ziehschwester, und jetzt meine rechtmäßige Königin.«
»Friede, Kieran«, sagte Anghara und legte ihre kleine kühle Hand auf seinen Arm. Kieran musste seine gesamte Kraft aufbieten, um die Hand nicht hochzuheben und sie zu küssen. Er zitterte stark, aber er beherrschte sich, und wieder blieb vieles, was er hervorstoßen wollte, ungesagt. Jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, falls dieser überhaupt existierte, um alles, was tief in seinem Inneren begraben war, ans Tageslicht zu bringen. Nervös berührte er mit den Fingern die geschwungene Oberfläche des say’yin , der mit Liebe angefertigt worden war und den er jetzt unter dem Gewand verborgen trug. Und al’Tamars Friede stieg zu ihm durch die heiße Handfläche und verlieh ihm die Stärke zu schweigen. Er neigte den Kopf.
»Morgen«, sagte Anghara und drückte leicht seinen Arm. »Morgen werden wir alles wissen.«
Sie erwarteten die Gesandtschaft vom Turm der sen’thar in Al’haria eigentlich am Morgen des folgenden Tages, aber sie traf erst am späten Nachmittag ein. Sieben Frauen, die unter den schwarzen Djellabas und blauen Burnussen graue Gewänder trugen, dazu noch eine auf einem herrlichen braunen dun mit blonder Mähne, deren Gewand golden schimmerte. Hinter ihnen trotteten zwei ki’thar’en; das eine mit schläfrig aussehenden Dienerinnen, das andere mit zusammengeschnürten Bündeln, aus denen stellenweise glänzende jin’aaz-Seide hervorlugte.
Ai’Jihaar fühlte sich an diesem Morgen nicht wohl und erschien daher nicht, um ihre Gäste zu begrüßen. Es machte keinen großen Unterschied, da diese für sie im Inneren ihres Zeltes ebenso sichtbar waren, als hätte sie draußen auf sie gewartet.
»Eine Goldene«, murmelte sie, »aber nicht ai’Farra ... Chud , ausgerechnet jetzt, wo wir sie brauchen, besucht sie ihre Mutter in Say’ar’dun ...«
Auch Anghara hatte es vorgezogen, das Zelt nicht zu verlassen. Doch da ihr ai’Jihaars überirdische Sinne fehlten, musste sie durch einen Schlitz an der Eingangsklappe lugen. »Es ist nur eine Goldene dabei«, sagte Anghara. »Sie ist verschleiert, aber ich glaube nicht, dass ich sie kenne.«
» Hai! «, bestätigte ai’Jihaar. »In ihr brennt kaltes Seelenfeuer – wie die Schatten in den Augenhöhlen eines in der Wüste gebleichten Schädels. Sie heißt ai’Daileh; ihr wurde das Gold im Turm in Beku, unten in der Arad, verliehen, nachdem du weggegangen warst. Ai’Farra hat sie nach Al’haria gebracht. Sie ist stark und jung, aber hart, zu hart ... Sie tötet sauber, aber ich frage mich, ob sie auch die Fähigkeit hat zu heilen?«
»Du sagst, ai’Farra hat sie geholt? Aber bist du nicht ebenso ...«
»Es steht mir nicht zu, die Wahl der Nachfolgerin der Archivarin in Frage zu stellen. Und ai’Farra ist ... ai’Farra. Als du sie unter Druck gesetzt hast, indem du die Hariff gewählt hast, musste sie sich auf andere Art beweisen. Ich denke, das stärkste Siegel für ai’Dailehs Eignung ist die Tatsache, dass sie ebenfalls eine Sayyed ist. Das ändert die Machtverhältnisse in Al’haria. Und ai’Farra hat sich noch nie eine Chance zur Vergrößerung ihrer Macht entgehen
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