Die Rückkehr der Königin - Roman
das Gefühl blitzschnell wieder verflogen.
»Sie ist zurück«, antwortete ai’Jihaar. »Und sie braucht unsere Hilfe.« Sie musste innehalten, um Luft zu holen. Plötzlich sah sie neben dieser gefährlichen jungen Priesterin, die sie in ihr Heim eingeladen hatte, so aus, wie es ihrem tatsächlichen Alter entsprach oder noch älter. Aber sie kämpfte für Anghara, ihr Herzenskind, daher nahm sie alle Kraft zusammen und richtete sich auf. »Ich war krank«, erklärte ai’Jihaar steif, als machte sie dieses Eingeständnis nur ungern. »Und das, woran unsere Schwester leidet, erfordert mehr Kraft, als eine Einzelne hat, selbst wenn ich zehnmal jünger wäre und meine Gesundheit so gut wie damals in deinem Alter.« Es war eine subtile Ermahnung, die ai’Daileh nicht entging. Die goldenen Augen senkten sich, von spitzen kupferfarbenen Wimpern verschleiert. »Deshalb habe ich dich und die, die du mitgebracht hast, hergerufen. Sie ist vom Rand des Abgrunds zurückgekehrt, seit sie bei mir ist – ein oder zwei Tage – aber jetzt, als du gekommen bist ... Ich habe nicht bedacht, dass all diese an einem Ort geballte Kraft zu viel für sie sein könnte.«
»Was ist das Problem?«, fragte ai’Daileh vorsichtig.
»Du hast von einer an’sen’thar gelesen, die ein Orakel errichtet hat«, sagte ai’Jihaar. »Schau dich um und sage mir, ob du sie hier und heute bei uns spürst.«
Es erschütterte die selbstbewusste junge Priesterin sichtlich, als sie das Wrack sah – es erschütterte sie so sehr, dass ihr Gesicht einen Moment lang weich wurde, als sie die stumme, reglose Anghara betrachtete. Doch war diese Weichheit sogleich verflogen, als sie den Kopf hob und wieder ai’Jihaar anschaute. »Irgendetwas stimmt hier nicht«, murmelte sie.
»Als Erstes müssen wir die Brücken wieder schmieden, die zerstört wurden«, erklärte ai’Jihaar, ohne auf ai’Dailehs Bemerkung einzugehen, da sie nicht gleich das Thema Kieran anschneiden wollte.
»Ist das möglich?«, fragte ai’Daileh nachdenklich.
»Wir werden es herausfinden. Kommst du vorbereitet?«
Die jüngere Frau nickte. »Ein weißes ki’thar-Lamm, noch keine vier Monde alt. Zwei der verletzten Seidensucher, die uns gebracht wurden ... obwohl ich immer noch nicht begreife, woher du gewusst hast, dass wir diese beiden mit genau den Wunden hatten, die du uns beschrieben hast.«
»Ich muss nicht im Turm sein, um zu wissen, was dort geschieht«, erklärte ai’Jihaar ruhig und faltete die Hände im Schoß. »Du hast die Seidensucher. Und der Rest?«
»Ich habe die Rab’bat Rah’honim mitgebracht.«
»Das ist gut.«
Nach kurzem Schweigen, während dessen ai’Daileh Anghara neugierig musterte, sagte sie: »Vielleicht können wir nur sehr wenig tun.«
Als Antwort zog ai’Jihaar vielsagend eine Braue hoch, und ai’Daileh verschränkte abwehrend die Arme, aber das konnte ai’Jihaar nicht sehen, und ai’Dailehs Stimme klang kühl und distanziert, als sie sprach. »Vielleicht ist das nur der Preis, den sie zahlen muss, um den Weg zu nehmen – sie, die fram’man , der man die Wüste hätte verbieten sollen ...«
Spannung knisterte in der Luft; dazu musste Kieran die Worte nicht verstehen. Ai’Daileh betrachtete Anghara von oben herab, als überlege sie ... Er richtete sich auf in der Dunkelheit; einen Moment lang glaubte er, sich unmöglich weiter beherrschen zu können. Für wen hielt sich diese ... Khelsie im goldenen Fetzen eigentlich? Jemanden so zu beleidigen, fram’man oder nicht, die mit ai’Dailehs eigenen Göttern von Angesicht zu Angesicht gesprochen hatte? Die Worte formten sich in seinem Kopf, glasklar spürte er sie schon auf der Zunge: Hast du je al’Khur ins Antlitz geschaut und weitergelebt, du Wüstenpriesterin? Aber ai’Jihaar glomm als ruhige Flamme in der Dunkelheit, ein gleichmäßiges weißes Licht, das behutsam und liebevoll Kierans Wut bändigte und erlöschen ließ.
»Das hatte ich befürchtet«, sagte ai’Jihaar laut, als sei sie in Gedanken nicht einen Moment lang woanders gewesen.
Sie klang beherrscht – ein wenig resigniert, ein wenig bedauernd, aber dennoch so entschlossen, dass sie ins Schwarze traf. Selbst Kieran begriff den Ton dieser Worte; ai’Daileh zuckte zusammen, als seien die Worte ein Dolch an ihrer Kehle.
»Selbst ai’Farra ist darüber hinweg«, sagte ai’Jihaar. »Du ... hast Anghara von Sheriha’drin nie gekannt, du weißt nicht, was sie getan hat, abgesehen von dem, was du gelesen hast und was für
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