Die Rückkehr der Königin - Roman
alle Ewigkeit im Staub der Katakomben festgeschrieben steht. Jetzt siehst du hier nur ein hilfloses fram’man -Mädchen mit einer verwundeten Seele. Und jetzt sag mir, ai’Daileh, bist du imstande, dich über das zu erheben, was du siehst und nach dem zu greifen, was du weißt? Wenn nicht ... ich werde dir nicht erlauben, dich ihr so weit zu nähern, dass du ihr etwas antun kannst, es sei denn, du schwörst mir einen Eid, dass du hergekommen bist, um zu heilen, nicht um zu opfern.«
Nein, ihre Augen waren nicht aus Eis. Jetzt glühten sie in dem eckigen, gemeißelten Gesicht. Ai’Dailehs Hände waren zu Fäusten geballt. Kieran wünschte sich inbrünstig, dass er verstehen könnte, was hier geschah – er hatte den Atem angehalten und das Gesicht beobachtet, das ai’Jihaar nicht sehen konnte. Er stieß einen langen lautlosen Seufzer aus, obgleich ai’Daileh das Kinn teils aus Trotz, teils aus Stolz reckte.
»Ich würde nie jemandem ein Leid zufügen, dem das gleiche Gold wir mir verliehen wurde«, erklärte sie langsam. »Es mag mir nicht gefallen – aber es ist geschehen und so soll es bleiben. Sie ist eine an’sen’thar , genau wie ich.«
»Lautet so dein Eid?«, fragte ai’Jihaar unerbittlich.
»Wenn du es für nötig hältst, kann ich es beschwören. Also: Ich bin hier und werde alles tun, was ich kann, um eine Schwester auf dem Weg zu heilen. Ich werde ihr kein Leid zufügen. Gestattest du mir jetzt, mich zurückzuziehen, an’sen’thar? Ich nehme an, du möchtest, dass wir sofort beginnen, wenn alles bereit ist.«
»Du kannst gehen.«
Ai’Daileh verneigte sich kurz und machte kehrt, um zu gehen. Am Eingang blieb sie stehen und blickte zurück in Angharas große graue Augen, die nicht sehen konnten, und zu Kieran, der angespannt und kampfbereit im Schatten stand. Dann beugte sich ai’Jihaar über Angharas helles Haar – und Kieran stockte der Atem, als er die unausgesprochenen Worte klar in seinem Kopf hörte: Du wirst alt, Verehrungswürdige. Es gab eine Zeit, da hättest du keinen Eid gebraucht, um in das Herz einer Schwester zu schauen . Es schwang ein wenig Bedauern mit, aber noch mehr Triumph, Genugtuung, und vielleicht sogar Bosheit.
Dann war ai’Daileh verschwunden. Aber es folgte der nächste Schock. Ai’Jihaars Stimme, körperlich, aber viel schwächer als die Worte, die er soeben mitgehört hatte. »Diese hätte meine Kräfte strapaziert, selbst wenn ich nicht so schwach gewesen wäre wie jetzt ... Verflucht sei diese Krankheit!«, kam es ganz leise auf Roisinanisch über ihre Lippen. »Wo ist ai’Fatmah?«
»Soll ich sie suchen gehen?«, fragte Kieran und trat näher.
»Keine Zeit ... Dort hinten in der Truhe ist eine Phiole, blaues Glas ...«
Kieran war schon dort und öffnete hektisch den Deckel. Verdammt, da waren zwei blaue Fläschchen! Er zögerte. Glänzendes Metall lenkte seinen Blick ab. Eine Klinge – Angharas Dolch. Die Erinnerung an honigschwere Luft ... Augen in der Wüste ... Blut ...
»Kieran ...«
Mit einem Ruck wachte er auf. Erst jetzt bemerkte er, dass er minutenlang in einer Art Trance gesessen hatte, während ai’Jihaars Stimme hinter ihm immer schwächer wurde ... er griff wahllos nach einem blauen Fläschchen. Obwohl es immer noch so aussah, als würde sich ai’Jihaar über Anghara beugen, wurde ihm jetzt klar, dass Anghara ai’Jihaars erschlafften Körper stützte.
Kieran fiel neben ai’Jihaar auf den Kissen auf die Knie und zog dabei den Stöpsel aus der Phiole. »Hier ist es«, sagte er, hob ihre Hände und legte sie um das Fläschchen. Der Geruch aus der Phiole war ihm irgendwie vertraut, seltsam in einem Land, wo ihm alles fremd war, aber er hatte keine Zeit, sich zu wundern, denn ai’Jihaar hatte schon zwei Schluck getrunken, ehe einer von ihnen einen klaren Gedanken fassen konnte.
Dann wussten sie es beide.
»Lais«, flüsterte Kieran und starrte die Phiole entsetzt an. »Das ist lais ...«
»Konzentrierte Essenz«, stieß ai’Jihaar hervor und ließ die Hand in den Schoß fallen. »Kieran, was hast du getan? Es liegt in den Händen der Götter ... vielleicht ... selbst jetzt ... bring mir das andere Fläschchen. Vielleicht reicht die Zeit.«
Kieran rannte zur Truhe und vermied einen Blick auf den fatalen Dolch und holte das zweite Fläschchen. Mit zitternden Fingern reichte er es ai’Jihaar. Sie öffnete es selbst und nahm einige Tropfen.
»Schau nach, ob sie draußen bereit sind«, befahl ai’Jihaal leise mit geschlossenen
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