Die Rueckkehr der Phaetonen
öffnen, bis er schließlich Wladilen bat, einen Mechaniker zu rufen und das Kontrollgerät in seinem Schlafzimmer abzuschalten. Das wurde sofort gemacht, und nun räumte Wolgin genüsslich sein Zimmer auf und machte selbst das Bett. Er hätte nichts dagegen gehabt, wenn alle Automaten im Haus abgeschaltet würden, aber mit diesem Wunsch hielt er sich zurück, weil er Mary und Wladilen keine Unannehmlichkeiten bereiten wollte. Die beiden langweilten sich inzwischen wegen dieses erzwungenen Nichtstuns, und der Aufenthalt in Leningrad wurde ihnen langsam lästig. Sie warteten voller Ungeduld darauf, dass Dmitrij seine Reise endlich fortsetzen würde, sahen, dass Wolgin von Tag zu Tag mürrischer und reizbarer wurde, und berichteten Lucius voller Sorge davon. Aber selbst Wolgins zweiter Vater hielt sich nicht für berechtigt, sich in Wolgins persönliches Leben einzumischen.
Inzwischen waren zwei Wochen vergangen. Sergej war immer noch nicht nach Hause geflogen. Wolgin schrieb das dem Wunsch zu, bei ihm zu bleiben, doch in Wirklichkeit war es anders. Sergej erfüllte Lucius Bitte, indem er Wolgins Gesundheitszustand überwachte und sowohl Lucius wie auch Io regelmäßig darüber informierte.
Äußerlich war Wolgin vollkommen gesund - dank Antigravgürtel fühlte er keinerlei Erschöpfung, als er, nachdem er am Tag Dutzende von Kilometern zurückgelegt hatte, genauso frisch und munter wie davor wieder nach Hause kam. Für einen oberflächlichen Blick war alles in bester Ordnung - aber Sergej war kein einfacher Arzt. Er war einer der besten Schüler eines herausragenden Arztes, wie Io einer war, und er sah, dass Wolgins Gesundheit nur scheinbar war und dass sich hinter ihr eine immer weiter fortschreitende Krankheit verbarg. Die Medizin des neununddreißigsten Jahrhunderts konzentrierte sich in erster Linie auf den seelischen Zustand eines Menschen, und die kleinste Störung im Nervensystem galt als ein Anzeichen, das ein ärztliches Eingreifen erforderte. Und bei Wolgin traten solche Anzeichen immer öfter hervor.
»Er muss weg von hier, und zwar so schnell wie möglich«, verlangte der junge Wissenschaftler beim nächsten Gespräch mit Lucius kategorisch. »Sie sind der einzige, der ihn davon überzeugen kann.«
»Gut, ich versuche, mit ihm zu reden«, sagte Lucius. »Aber lassen Sie ihn nicht merken, dass Sie etwas gefunden haben, das nicht in Ordnung ist. Dmitrij soll sich nach wie vor für gesund halten.«
»Physisch ist er es doch«, seufzte Sergej. »Für ihn ist Leningrad schädlich, und nur Leningrad. Wenn er die Stadt verlässt, kommt sofort alles wieder in Ordnung.«
Mit dieser Schlussfolgerung war Lucius einverstanden. Auch Io teilte die Meinung seines Schülers, ebenso wie Mary und Wladilen.
Und alle vier irrten sich.
Der Grund für Wolgins schlechte Laune war nicht Leningrad. Die neue und unbekannte Stadt beachtete er kaum, und der Oktoberpark gefiel ihm sehr. Dort waren alle Orte, die für ihn wertvoll waren, unversehrt erhalten geblieben, und er verbrachte dort mit Vergnügen die meiste Zeit. Der Ort an sich, wo einst Leningrad gewesen war, konnte bei ihm keine solche Bedrückung auslösen, auch wenn er genug Gedanken an die Vergangenheit hervorrief.
Der wirkliche Grund war das Bild von Ira, das in Wolgins Zimmer hing. Hier war Lucius ein großer Fehler unterlaufen. Als er gebeten hatte, dieses Bild nach der Büste zu malen, die in seinem vierundsechzigsten Labor stand, war seinem Feingefühl ein Fehler unterlaufen. Lucius dachte, er würde seinem Sohn Freude bringen, dachte aber nie an die Möglichkeit, dass das Bild eines verwandten Menschen Wolgins Einsamkeit in der neuen Welt betonen und verschärfen könnte. Niemand wusste, was es für ein erschütternder Eindruck war, den dieses unerwartete Geschenk auf Wolgin gemacht hatte, und wie schwer es für ihn war, dieses Bild täglich sehen zu müssen.
Jeden Abend sah er sich lange die geliebten Gesichtszüge an. Es war Ira, und gleichzeitig war sie es nicht ganz. Der Unterschied, den Wolgin sofort entdeckt hatte, bedrückte ihn noch mehr als das Bild selbst. Wenn Ira genauso wie im wirklichen Leben gewesen wäre, würde es für ihn viel leichter gewesen sein -und so versank er immer mehr in der Vergangenheit und die Gegenwart wurde ihm immer fremder. Wenn Lucius das gewusst hätte, würde er sich sofort darum bemüht haben, das Bild, mit welchen Mitteln auch immer, aus Wolgins Zimmer zu entfernen und den begangenen Fehler wieder gut zu machen.
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