Die Rueckkehr der Phaetonen
Ebenso wenig konnte er glauben, dass diese Menschen seine Landsleute waren - ihr Äußeres sprach entschieden dagegen. Sie sahen, genau wie Lucius, überhaupt nicht wie gewöhnliche Menschen aus dem zwanzigsten Jahrhundert aus. Ihre massiven Figuren, große Köpfe, ungewöhnlich gleichmäßige Gesichtszüge, schließlich auch nur ihre Größe und ihre Art, sich zu bewegen — all das war anders als bei allen, die Wolgin bisher zu Gesicht bekommen hatte.
Er fragte sich immer wieder voller Verwirrung - wo kamen diese Giganten denn her? Wo waren sie bisher gewesen, so dass er sie weder getroffen noch etwas von ihnen gehört hatte? Hier versteckte sich ein unlösbares Rätsel, auch darum, weil Lucius offensichtlich allen möglichen Fragen auswich. Wolgin bekam bereits den Eindruck, als hätte Lucius schlicht und einfach Angst vor ihm. Aber wovor hätte er überhaupt Angst haben können?
Mit Ausnahme von Io schienen alle, die Wolgin umgaben, noch jung zu sein, aber als er einmal gefragt hatte, wie alt sie waren, wich Lucius der Frage wieder aus und sagte nur, dass sie nicht so jung wären wie sie aussahen. Was Io an-ging, so war er ziemlich alt, hatte vollkommen graue Haare und tiefe Falten auf der Stirn und den Wangen, sah aber immer noch kräftig und gesund aus. Er war größer als alle anderen, und Wolgin fand es sonderbar, den Kopf des Menschen, der an seinem Bett stand, zwei Meter von sich entfernt zu sehen, umso mehr, da Wolgin nicht auf dem Boden lag, sondern auf dem »Sofa«, das etwa einen halben Meter hoch war. Offenbar war Io ein berühmter Arzt, denn wenn er Wolgin untersuchte, hörten Lucius und alle anderen ihm aufmerksam und mit großem Respekt zu. Doch der »Chefarzt« war nicht Io, sondern Lucius - das war für Wolgin bereits ein paar Tage nach ihrer ersten Begegnung offensichtlich geworden.
Langsam begann Wolgin, sich an das ungewöhnliche Äußere und die eigenartige Kleidung der rätselhaften Menschen zu gewöhnen, und ihr Anblick löste kein Staunen und Neugier mehr aus. Es wunderte ihn aber, dass sie niemals das Wort »Genosse« verwendeten, wenn sie sich untereinander oder mit ihm unterhielten, sondern sich einfach beim Namen nannten und ihn mit »Dmitrij« ansprachen. Einmal fragte er Lucius, wie dessen Nachname sei, aber dieser schien daraufhin vollkommen verwirrt und antwortete nichts. Dann fragte Wolgin, warum sie niemals das Wort »Genosse« verwendeten, wenn sie schon Russen waren — aber auch die Frage schien Lucius völlig überrumpelt zu haben, weil er erst nachdenken musste, bevor er antwortete. »Wir alle sind gute Freunde und sprechen einander einfach mit Namen an«, sagte er schließlich, »und wir mögen Sie auch wie einen guten Freund.«
Die Erklärung war glaubwürdig, aber Wolgin sah, dass man ihm nicht die Wahrheit sagte, weil man es aus irgendeinem unerklärlichen Grund einfach nicht tun wollte. Hinter all dem verbarg sich eindeutig etwas Unverständliches. Er konnte zwar glauben, dass Lucius und seine jungen Kollegen einander freundschaftlich mit Namen anredeten, aber im Bezug auf den alten Io war das höchst sonderbar. Umso sonderbarer war es, dass er selbst gesiezt wurde. Der Höflichkeit wegen tat Wolgin so, als würde er die Erklärung glauben, und fragte dann, in welchem Land er sich nun befand. Lucius sagte sofort, er wäre in der Sowjetunion, aber Wolgin sah sofort, dass Wladilen, der sich in diesem Moment auch im Pavillon befand, sich neugierig umdrehte, als er Lucius’ Antwort hörte.
All das war merkwürdig genug, um Wolgin wieder zu beunruhigen.
Einige Zeit später fand ein noch merkwürdigeres Gespräch statt. »Also hat man mich von Paris weggebracht?«, fragte Wolgin, als Lucius einmal allein zu ihm gekommen war. »War ich etwa so lange bewusstlos, dass ich die Überführung nicht einmal bemerkt habe?«
Er sah, dass Lucius eindeutig verlegen war. »Sie konnten sehr lange nicht zu sich kommen, trotz aller getroffenen Maßnahmen«, sagte er schließlich.
»Wo befindet sich jetzt mein Freund und Kollege Michail Petrowitsch Sewerskij?«, fragte Wolgin.
»Michail...«
»Petrowitsch Sewerskij«, sprach Wolgin zu Ende. »Ein Mitarbeiter des Außenministeriums der UdSSR, erster Sekretär unserer französischen Botschaft.«
»Er ist nicht hier«, erwiderte Lucius.
Dann hatte er es plötzlich eilig und sagte, dass die Bestrahlung wieder fortgesetzt werden müsse. Man solle den Prozess nicht für lange Zeit unterbrechen. »Wir sprechen später zu Ende.« Er
Weitere Kostenlose Bücher