Die Rueckkehr der Templer - Roman
Haaresbreite hätte es Gero in der Flanke erwischt, weil ein anderer Ritterbruder seine Unaufmerksamkeit zu nutzen wusste, doch er rollte sich im letzten Moment zur Seite, so dass die Klinge des Gegners lediglich sein Kettenhemd streifte.
Arnaud war es inzwischen vollkommen gleichgültig, ob er Tote zurückließ, so verzweifelt fühlte er sich in die Enge getrieben. Wie ein Berserker drosch er auf seine Gegner ein und hielt sie damit auf Abstand. Zug um Zug versuchte er sich der Westmauer zu nähern, der einzigen Stelle, die einen Ausweg versprach. Die Angreifer ahnten, was er vorhatte, und setzten zu einer weiteren Attacke an, indem sich der Kreis der Schwertkämpfer öffnete und einige Lanzenträger herbeigeeilt kamen. Arnaud sprang aus dem Stand auf einen hüfthohen Mauervorsprung, von wo aus er sich besser zu verteidigen glaubte, doch damit hatte er Gero den Rückhalt genommen, und im Nu war sein deutscher Bruder von Lanzen umzingelt, die ihn wie einen wilden Eber abzustechen drohten.
Mit einem Blick erkannte Arnaud, wie aussichtslos ihre Situation geworden war. Todesmutig steckte er seine Waffe zurück in die Scheide und sprang mit einem gewaltigen Satz auf den nächsthöheren Wall, wo |377| er sich an einem hervorstehenden Balken festhielt und geschickt daran emporhangelte. Unter ihm brach derweil das Chaos aus. Man hatte die Bluthunde von der Leine gelassen, und nun sprangen sie wie von Sinnen in die Höhe und schnappten nach Arnauds freihängenden Stiefelspitzen. Es gelang ihm, sich auf das Dach der Kapelle hochzuziehen. Sein Herz hämmerte wie wild, als er von oben auf die keifenden Bestien blickte, doch die Tiere waren zu schwer und zu ungelenk, um wie Katzen auf die Dächer zu springen.
Unzählige Stimmen brüllten aufgebracht durcheinander. »Schnappt ihn euch endlich! Lasst ihn nicht entkommen! Besser tot als lebendig!«, schallte es ihm hinterher. Im Hintergrund tauchten zwei Turkopolen auf und spannten ihre Bögen. Bogenschützen hatten ihm gerade noch gefehlt.
Arnaud kam auf die Füße und rannte über die wackligen Tonschindeln zum Ende der Westmauer hin. Mit ausgestreckten Armen balancierte er einen Moment auf der Mauerkrone, während die Turkopolen aus dem Stand auf ihn zielten. Panisch suchte er nach einem Ausweg. Unter ihm gähnte ein mindestens fünfzehn Meter tiefer Abgrund. Einen Moment stockte er, doch als der erste Pfeil haarscharf an ihm vorübersauste, sah er inmitten des tobenden Mobs Gero, der halb niedergerungen am Boden verharrte. »Spring endlich!«, brüllte der ihm atemlos zu. »Du musst es zum Treffpunkt schaffen!«
Arnaud wusste, was Gero damit meinte. Es kam einer Kapitulation gleich. Er sollte zurückkehren, dorthin, wo Tom sie mit seinem Timeserver in zwei Tagen abholen wollte. Aber was dann? Sollte er etwa bei Lafour eine neuzeitliche Armee anfordern, die ihn in diese Zeit begleiten würde und ihm half, Gero und seine Kameraden zu befreien? Fieberhaft versuchte Arnaud seine Gedanken zu ordnen. »Na und?«, sagte er zu sich selbst. »Wenn es die einzige Möglichkeit ist, in diesem Chaos Ordnung zu schaffen, soll es eben so sein.« Ein zweiter Pfeil sauste an ihm vorbei, so knapp, dass er den Luftzug an seiner Nase hatte spüren können.
»Heilige Maria Muttergottes, verleihe mir Flügel«, betete er stumm und stürzte sich mit leicht angewinkelten Knien ins scheinbare Nichts. Dass ihm die Muttergottes keine Flügel beschert hatte, bemerkte er spätestens, als er ungebremst durch das nächstbeste Strohdach raste und mit seinem rechten Oberschenkel auf einen morschen Holzbalken |378| prallte, der gnädigerweise nachgab, statt ihm den Knochen zu zerschmettern.
Unvermittelt blickte er in die erschrockenen Augen eines zahnlosen Sarazenen. Geistesgegenwärtig rappelte sich Arnaud auf die Beine und stürmte im spärlichen Schein eines flackernden Öllichts zur einzigen Tür. Dabei stolperte er über einen dreibeinigen Schemel, stieß Krüge und Töpfe zur Seite und gelangte, nachdem er das hölzerne Portal aufgerissen hatte, in eine enge, menschenleere Gasse. Hastig schaute er nach allen Seiten. Über ihm erklang ein Signalhorn, und auf den Zinnen der Westmauer erschienen zahlreiche Fackelträger, die nach ihm Ausschau hielten. Es würde nicht lange dauern, bis die Templer hier unten auftauchen und nach ihm suchen würden. Soweit er wusste, lebten an diesem ärmlichen Ort ausschließlich Sarazenen, die in den Diensten der Christen standen und weder über Vermögen noch über
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