Die Rueckkehr der Templer - Roman
es ihnen tatsächlich gelang, zum Wesir vorzudringen. Mit Arnaud hatte er die wahnwitzige Idee geschmiedet, dass sie versuchen wollten, den Mann als Geisel zu nehmen, um ihn zur Herausgabe des Kelches zu zwingen. In der Zwischenzeit sollten Rona und Lyn nach den Frauen suchen und mit ihnen zum geheimen Tor fliehen. Von dort aus wollten sie mit dem Kelch in Richtung Gaza reiten, um Gero davon abzuhalten, dass er sich zusammen mit Tramelay und seinen Leuten ins Verderben stürzte.
|607| Als Khaled eine Stimme hörte, die aus dem Kommandeurszimmer erscholl, glaubte er, zu Eis zu erstarren, obwohl ihm Schweißtropfen von der Stirn in die Ränder seines schwarzen Turbans sickerten. Kein Zweifel, die Stimme gehörte Abu Aziz Maula, dem Mann, der den Tod seiner Kameraden verschuldet hatte, und auch sein eigenes Leid war viel zu eng mit diesem Dämon verknüpft, als dass er ihn je hätte vergessen können. Dabei hatte er gehofft, der Mann sei längst tot. Im Kerker hatte man gemunkelt, er hätte als Sympathisant des getöteten Kalifen al-Hafiz das gleiche grausame Schicksal erlitten wie sein Gebieter. Lange konnte er noch nicht in den Diensten al-Russaks stehen, sonst wäre er im Kerker aufgetaucht, als Khaled dort noch einsaß, und hätte ihn aufs Neue gequält. Warum man ihn nun auf die Festung zurückbeordert hatte, blieb Khaled ein Rätsel.
Instinktiv zog er das schwarze Tuch ins Gesicht und ließ Arnaud den Vortritt. »Da ist jemand, den ich nur allzu gut kenne«, zischte er dem provenzalischen Templer gerade noch rechtzeitig zu, bevor er eine gebeugte Haltung einnahm, die dem obersten Befehlshaber der Festungstruppe statt des strahlenden Helden einen alternden, buckligen Mann präsentierte. Kommandeur Abu Aziz Maula, wie er von den Wachhabenden mit salbungsvoller Stimme vorgestellt wurde, war ganz in Weiß gekleidet, mit einer goldenen Schärpe und einem roten Turban. Die Arme in die Hüften gestemmt, stand er im Türrahmen, breit und feist wie eh und je.
Struan ahnte, dass Khaled gute Gründe haben musste, wie eine Schabe in einem Loch zu verschwinden, deshalb stellte er sich demonstrativ vor ihn, um ihn zu schützen, als der Kommandeur mit gemessenen Schritten näher kam.
»Wir kommen im Auftrag Nur ad-Dins«, verkündete Arnaud selbstbewusst. »Und bringen ein Geschenk für den edlen, weisen und erhabenen Wesir von Askalon.« Er verbeugte sich so tief, dass er beinahe Abu Aziz Stiefelspitzen hätte küssen können, und erhob sich erst wieder, nachdem der Kommandeur mit den Fingern geschnippt hatte.
»Was habt ihr denn da Schönes?«, fragte Abu Aziz höchst interessiert.
Als dessen Hand den Schleier von Lyn entfernte, umfasste Khaled den Dolch, den er unter seinem Gewand trug. Er würde Abu Aziz töten, wenn nicht jetzt, so doch bald, dachte er grimmig.
|608| Abu Aziz stieß einen leisen Pfiff aus, als er Lyn ins Gesicht sah. »Bei Allah«, murmelte er. »Das ist wirklich etwas Besonderes.«
Arnaud verengte seine Lider, als der Kommandant sich über die Lippen leckte und den Schleier von Ronas Gesicht entfernte. Sie blickte ihm starr in die Augen, wie eine Schlange, die ihr Opfer fixiert. Arnaud ahnte, was in ihr vorging, und er wusste spätestens seit der Flucht aus Sankt Lazarus, über welche Kräfte sie verfügte. Mit einer einzigen raschen Bewegung hätte sie Abu Aziz das Genick brechen können, doch sie tat es nicht. Auch sie wusste, dass zu viel auf dem Spiel stand, um dem ersten Impuls zu folgen.
Abu Aziz’ Blick strich fasziniert über ihre makellose Haut, die großen glänzenden Augen und die leicht feuchten, blühenden Lippen.
»Exquisit«, hauchte er, und niemandem in seiner Nähe konnte entgehen, wie sich sein Atem beschleunigte. »Nur ad-Din muss es wirklich gut mit uns meinen«, entfuhr es ihm heiser.
Plötzlich stürmte ein weiterer Soldat um die Ecke. Man sah dem Kommandanten an, wie ungelegen er ihm kam.
Irritiert blieb der Mann vor seinem Kommandeur stehen und salutierte.
»Was willst du?«, herrschte Abu Aziz ihn an.
»Die Christen«, keuchte der Mann, ohne sich um die Fremden zu kümmern.
»Was ist mit den Christen?« Abu Aziz setzte eine unverständliche Miene auf.
»Sie schieben einen neuen Belagerungsturm heran.«
»Es ist mitten in der Nacht.« Abu Aziz schüttelte ungläubig den Kopf. »Die Christen sind müde Trottel, die sich streng an ihre Gebetszeiten halten. Um diese Zeit kriechen sie allenfalls aus ihren Betten, um die Mitternachtsmesse zu halten. Warum sollte sich
Weitere Kostenlose Bücher