Die Rueckkehr der Templer - Roman
meinen besten Freunden, und Everhard de Barres gilt als weitgereister, belesener Mann.«
Rona beobachtete schon eine ganze Weile, wie gut sich ihre Schwester mit Khaled zu unterhalten schien. Mit einem sanften Stoß in die Rippen holte sie Berengar von Beirut aus seinem Halbschlaf zurück. »Sag, was ist dieser Khaled für ein Kerl?«
»Er gilt als gefährlich, Madame«, begann der Templer mit tonloser Stimme. »Trotzdem ist er ein Freund des Ordens. Aber man kann ihm nicht trauen. Er gehört zur Bruderschaft der Nizâri, Assassinen, wenn Euch das etwas sagt. An Eurer Stelle wäre ich vorsichtig. Wenn es ihm nützlich ist, hat er weder Respekt vor dem Leben eines Christen noch vor seiner eigenen Brut und schon gar nicht vor der Unschuld christlicher Frauen.« Berengar schnaubte. »Unsere Königin schätzt seinen Mut und seine Tapferkeit. Sie liest ihm jeden Wunsch von den |90| Augen ab. Dafür ist er ihr stets zu Diensten. Wenn Ihr versteht, was ich meine …« Ein merkwürdiges Lachen entwich seinem monströsen Brustkorb.
»Wann werden wir in Jerusalem sein?«
»Nach Sonnenuntergang«, erklärte Berengar mit einem suchenden Blick in den dunstigen Abendhimmel.
Rona fieberte darauf, endlich die Stadt zu erreichen, um möglichst rasch einen verborgenen Winkel zu finden. Dann wollte sie versuchen, Lion zu kontaktieren. Sollte das nicht gelingen, würden sie diese unwirtliche Welt noch vor Morgengrauen verlassen, um in jenen Zeitabschnitt zu gelangen, den Lion ursprünglich für sie vorgesehen hatte. Das waren sie ihm und auch Mako schuldig, den sie mit jeder Sekunde schmerzlicher vermisste.
Lyn fühlte sich in Khaleds Armen beinahe geborgen, als sie ihren Ritt durch das karge, nächtliche Land fortsetzten. Er hatte ihr erklärt, dass es neben religiösen auch medizinische Gründe gab, warum sie nicht einfach in der Wüste eine Rast einlegen oder in einem der Dörfer übernachten konnten, die sie mittlerweile passiert hatten. In Jerusalem, so erzählte er ihr, betrieben die Ritterorden mehrere große Hospitäler, in denen die Verletzten weit bessere Überlebenschancen haben würden, und die Toten mussten bei Juden und Muslimen ihrem Glauben gemäß noch vor dem Morgengrauen in der Erde verscharrt sein. Die meisten Toten hätten ohnehin in der Heiligen Stadt begraben werden wollen. Zum einen, weil es ihre Heimat war, zum anderen, weil sie sich dort dem Paradies näher fühlten.
Lyn gefiel es, dass Khaled so viel Rücksicht auf die Wünsche und Belange seiner Schutzbefohlenen nahm. Unbedacht lehnte sie ihren Kopf an seine breite Brust, und für einen Moment beschlich sie das Gefühl, es wäre Mako, der hinter ihr saß. Khaled begann ihre Hand zu streicheln, ganz leicht, als ob ein Windhauch darüber wehen würde, und obwohl sie ahnte, dass sie es eigentlich nicht hätte zulassen dürfen, gab sie sich seiner zärtlichen Berührung mit einem leisen Seufzer hin.
Der kühle Nachtwind blies ihr das glatte Haar aus dem Gesicht, und plötzlich begann Khaled hinter ihr leise zu singen. Voller Andacht lauschte sie seiner rauen, dunklen Stimme, die sie regelrecht in den Schlaf lullte. Als er bemerkte, dass sie die Augen geschlossen hatte, |91| summte er die Melodie in ihr Haar, während Morgentaus Hufschlag auf dem ausgetrampelten Wüstenpfad für den immer gleichen Rhythmus sorgte.
Ein Ruck und das Knarren eines gewaltigen Bronzetores, dessen Flügeltüren beidseitig aufgezogen wurden, holten Lyn aus dem Schlaf zurück. Lautes Stimmengewirr und die kehligen Rufe einiger Männer ließen sie verwirrt hochschrecken. Ihr Kopf ruckte herum, und im ersten Moment glaubte sie in jenen bizarren Traum eingetaucht zu sein, aus dem sie bereits vor Stunden hatte erwachen sollen.
»Wo sind wir?« Lyn schwindelte leicht, als sie sich vor Khaled im Sattel aufrichtete.
»Vor den Toren Jerusalems«, erklärte er ihr und drückte sie noch einmal an sich, weil er bemerkte, dass sie zitterte. »Frierst du?«
»Ja«, antwortete sie, obwohl sie nicht wusste, ob es nicht vielleicht doch eher die Aufregung war.
Im Nu hatte er sich von seinem Umhang befreit und hüllte sie darin ein. Dankbar schmiegte Lyn sich in den warmen Stoff und gab sich dem wohligen Gefühl seiner Zuneigung hin. Atemlos beobachtete sie, was im Schatten der gigantischen Mauern geschah, die ihr im Dunkeln endlos erschienen.
Khaled rief unterdessen einer Gruppe von schwer bewaffneten Soldaten im Licht zahlreicher Fackeln eine lateinische Losung entgegen, was
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