Die Rueckkehr der Templer - Roman
jedoch nicht dazu führte, dass man die gesamte Karawane einließ. Man nahm sie vielmehr noch einmal prüfend in Augenschein. Leise fluchte Khaled über die Soldaten am Tor, die angeblich zu einfältig waren, einer Gesandtschaft der Königin unverzüglich Einlass zu gewähren.
Die Männer vor den Toren trugen wie Khaled und die christlichen Ritter Kettenhemden, die bis zu den Knien reichten. Auf ihren blauen Überwürfen war ein silbern gesticktes Kreuz mit mehreren querliegenden Balken zu erkennen. Lyn wandte sich um, weil sie nach Rona Ausschau hielt, und sah, dass sich hinter ihnen ein regelrechter Stau von Tieren und Menschen gebildet hatte. Am wenigsten gefiel dieser Tumult den Kamelen, die sich heiser blökten und nicht nur die gesamte Reisegesellschaft störten, sondern auch die Kontrollposten, die darüber zu entscheiden hatte, ob mitten in der Nacht so vielen Menschen |92| und Tieren Einlass in die Heilige Stadt gewährt werden durfte. Was, wenn es eine Falle der Fatimiden war?
Khaled konfrontierte den diensthabenden Offizier mit dem goldenen Siegel der Königin, das er unter seinen Gewändern an einer langen Kette hervorgezogen hatte. Nach einem heftigen Hin und Her hatten die Wachen endlich ein Einsehen. Im Nu tauchten etliche andere Söldner auf, und ein jeder nahm eines der Kamele beim Zügel. Nach und nach schleusten sie die gesamte Karawane durch das sogenannte Davidstor, als gelte es, einer Armada von Schiffen die lang ersehnte Einfahrt in den sicheren Hafen zu ermöglichen. Hinter der Stadtmauer am Davidstor vorbei beschrieb die gepflasterte Straße eine scharfe Wendung und führte durch eine enge Gasse zu einem großen Vorplatz. Dort kam die Karawane zwischen mehreren prächtigen Gebäuden zum Stehen.
Musik ertönte. Trommeln, Flöten und ein seltsam quäkendes Instrument, das eine archaische Melodie erklingen ließ. Wohin Lyn auch schaute – überall brannten Feuer in eisernen Körben, flachen Pfannen und gläsernen Laternen und umgaben die vielfältige Kulisse aus Mauern, Türmen und mehrstöckigen Gebäuden mit einem gespenstischen Spiel von Licht und Schatten. Es stank nach fossilen Brennstoffen, wie man sie in ihrer Zeit nur noch aus alten Aufzeichnungen kannte. Zu dieser Zeit lagerten noch Unmengen von Öl und Gas unter der Erdoberfläche, und an manchen Stellen in der Wüste sickerte zwischen den Steinen sogar natürlich austretender Bitumen oder Erdpech hervor.
Eine große Ansammlung von Frauen und Männern in langen Gewändern tanzten ausgelassen um die Feuerstellen herum. Als sie die Karawane bemerkten, scharten sie sich neugierig um Menschen und Tiere. Hier und da brandete Gelächter auf, das jedoch jäh verstummte, als die eingewickelten Leichen auf den Kamelen bemerkt wurden.
Khaled sorgte mit ein paar strengen Befehlen dafür, dass die Kamele mit den Toten sofort zu den jeweiligen Friedhöfen weiterzogen, je nachdem welchem Glauben die Verstorbenen angehört hatten.
Hysterische Frauenschreie hallten über die Köpfe aller Anwesenden hinweg. Khaled blieb mit seinen Schützlingen auf dem Vorplatz zurück und stieg von seinem Hengst. Mit einem Wink bedeutete er Lyn, dass sie auf dem Pferd sitzen bleiben sollte, während er Morgentau in die unruhige Menge hineinführte.
|93| »Gegenüber dem Haus des Patriarchen von Jerusalem befindet sich der Palastbau der Königin«, erklärte er ihr lautstark im Angesicht der aufgeregten Menschen, die den Zugang zu einem hoch emporragenden Gebäudekomplex versperrten. »Das von Wachen geschützte Areal schließt direkt an die Zitadelle an.«
Lyn machte einen Versuch, sich anhand des in ihrem Gehirn einprogrammierten Kartenmaterials zu orientieren. Zweimal war der Palast der Könige während der christlichen Herrschaft umgezogen, wusste ihr Erinnerungsspeicher zu vermelden. Zunächst vom Tempelberg in die Nähe des größten Wehrturms, auch die Zitadelle genannt. Dann etwa zwanzig Jahre später in unmittelbare Nähe zur Stadtmauer in einen neuen, noch größeren Gebäudekomplex, der sich in Teilen bis zum alles vernichtenden Krieg erhalten hatte.
Rasch waren Khaled und seine Männer von Musikanten, spärlich bekleideten Tänzerinnen und ölig glänzenden Feuerschluckern umgeben, die nun zusammen mit aufgebrachten Zuschauern darauf drängten, zu erfahren, was es mit den Toten und Verletzten, die sie begleiteten, auf sich hatte. Khaled und seine Getreuen sahen sich gezwungen, die Menge mit gezogenen Schwertern und gellenden Befehlen zur Seite zu
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