Die Rückkehr der Templerin
noch zu ihnen gesellt hatten. Es mussten Tausende sein, aber diese Zahl war im Laufe des Tages bedeutungslos geworden. Zum allerersten Mal befand sich Robin inmitten eines wirklichen Heeres, nicht eines kleinen Trüppchens, das sich nur mit diesem Wort schmückte. Während sie mit Dariusz und seinen Männern nach Osten gezogen war, hatte sie geglaubt, Teil einer gewaltigen Armee zu sein, doch schon der erste Blick, den sie am Morgen in die Ebene hinabgeworfen hatte, als sie neben Horace aus dem Tor der Templerburg geritten war, hatte sie eines Besseren belehrt. Die Zahl der Reiter und Fußtruppen, die in gewaltigen, unordentlich wirkenden Blöcken am Fuße des Festungsberges Aufstellung
genommen hatten und auf die Templer, die Ritter des Lazarusordens und vor allem den König warteten, sprengte ihr Vorstellungsvermögen. Es blieb sich gleich, ob sie Hunderte, Tausende oder noch mehr zählten - es waren unendlich viele.
Und es waren mehr geworden, je weiter sie sich nach Osten bewegten. Jetzt, am frühen Abend, hatten sich die Truppen mit dem Heer König Balduins vereinigt und Lager hier am Ufer dieses schmalen, schlammigen Flusses aufgeschlagen, und obwohl sie seit mehr als einer Stunde beschäftigt waren, war ein Ende immer noch nicht abzusehen, wuchs das Heerlager noch immer in alle Richtungen und breitete sich entlang des Flussufers aus wie ein riesiger, bunter Flickenteppich, in dem sich zahllose Glühwürmchen verfangen hatten.
Robin streifte seit nahezu einer Stunde ziellos durch das Lager, zerrissen von den unterschiedlichsten Fantasievorstellungen und Gefühlen. Das in Latein verfasste Geschmiere auf dem Stoffstreifen, das sie in ihrer Kammer in Safet vorgefunden hatte, rumorte in ihr wie ein Stück nicht mehr ganz frischen Fleisches, das einem auch nach einem Tag noch sauer aufstoßen kann. Doch sosehr sie sich auch den Kopf zerbrach: Sie kam nicht im Geringsten darauf, wer es verfasst haben könnte. Bruder Horace und Bruder Abbé fielen ihr als Verdächtige genauso ein wie Rother; aber vielleicht war es auch irgendein anderer Templer gewesen, der sich von ihr herausgefordert fühlte oder einen Grund hatte, ihr eine gut gemeinte Warnung zukommen zu lassen. In jedem Fall gedachte sie nicht daran, ihr nachzugeben. Ganz im Gegenteil, sie hatte ihren Trotz geweckt.
Und das war beileibe noch nicht alles, was ihre Gefühle in Wallung brachte. Auch wenn sie bislang nirgends eine Spur von Salim und den Assassinen hatte ausmachen können, war sie sicher, dass er schon ungeduldig auf sie warten würde. Ihr Herzschlag, der sich bei dem Gedanken an ihn spürbar beschleunigte, verriet, wie sehr sie sich nach Salims Umarmungen und seinen leidenschaftlichen Küssen sehnte. Doch das musste warten, sie konnte und wollte die Templer nicht vor der Schlacht verlassen; vielleicht weniger, weil sie sich auf eine morbide Art ihnen noch immer zugehörig fühlte, sondern vielmehr, weil es ihr - besonders jetzt - wie die feige Flucht vor dem anstehenden Waffengang vorgekommen wäre.
Das alles trug nicht gerade zur Verbesserung ihrer Stimmung bei. Sie war müde wie ganz gewiss jeder einzelne Mann hier, denn der Tag war lang und grausam heiß gewesen, und Balduin und seine Ritter hatten dem Heer nur eine einzige, viel zu kurze Rast gegönnt, aber sie spürte zugleich auch, dass sie jetzt noch keine Ruhe finden würde. In ihrer zerrissenen Stimmung konnte sie trotz ihrer Müdigkeit und Erschöpfung auch nicht im Entferntesten an Schlaf denken, und sie musste nur einen einzigen Blick in die Runde werfen, um zu begreifen, dass es den meisten anderen hier wohl ebenso erging; wenn auch mit Sicherheit sonst niemand die Sehnsucht nach se inem Liebsten verzehrte.
Ansonsten war hier alles so vollkommen anders, als sie es sich vorgestellt hätte. Sie hatte geglaubt, dass die Stimmung in einem Heerlager, noch dazu am Vorabend einer großen Schlacht, deren Ausgang nicht annähernd so gewiss war, wie Odo und Ridefort am vergangenen Tag behauptet hatten, niedergeschlagen, gedrückt und vielleicht sogar ängstlich wäre, doch das genaue Gegenteil war der Fall. Sah sie einmal von dem kleinen Geviert ab, in dessen unsichtbaren Grenzen die Templer ihre Zelte aufgeschlagen hatten, so wurde fast überall gelacht und fröhlich geschwätzt. Aus manchen Zelten drang Musik, an mehr als einem Lagerfeuer wurden Schläuche herumgereicht, in denen sich vermutlich kein Wasser befand, es roch nach gebratenem Fleisch und frisch gebackenem Brot, und hier und da
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