Die Rückkehr der Templerin
reden!«, schnappte Nemeth. »Die Wunde sieht schlimm aus. Wir müssen sie verbinden, oder sie verblutet!«
Sie überlegte einen Moment angestrengt, dann griff sie kurzerhand nach Robins Kopftuch und versuchte es in Streifen zu reißen. Ihre Kraft reichte nicht, und Rother steckte rasch sein Schwert ein und zog stattdessen einen schmalen Dolch, den er dem Mädchen reichte. Nemeth nahm ihn wortlos entgegen und zerschnitt das Kopftuch in ein halbes Dutzend handbreiter Streifen, mit denen sie - alles andere als sanft, aber sehr schnell - einen Verband über der Wunde improvisierte. Es tat weh, aber Robin glaubte zumindest zu spüren, dass die Blutung tatsächlich nachließ. Sie glaubte nicht, dass sie wirklich in Gefahr war, zu verbluten. Nemeth übertrieb, wie sie es gerne tat.
Und selbst wenn nicht, war es vermutlich auch egal.
Endlich hörte Nemeth auf, an ihrer Schulter herumzuzerren und -zudrücken, und Robin ließ mit einem erleichterten Seufzen den Hinterkopf gegen den rauen Stein sinken und schloss die Augen. Die Schmerzen verebbten allmählich, aber nun machte sich eine bleierne Schwere in ihr breit. Keine drohende Ohnmacht, begriff sie. Sie war schlicht und einfach dabei einzuschlafen.
Robin riss mit einem Ruck die Augen auf.
Auch Rother hatte sich mittlerweile auf die Knie niedergelassen. Er starrte jetzt nicht mehr ihre Brüste an, sondern ihr Gesicht. Er war kreidebleich.
»Du … du bist eine Frau«, murmelte er.
»Wie Nemeth schon sagte«, antwortete Robin mit einem dünnen, gequälten Lächeln. »Du bist ein scharfer Beobachter. Dir entgeht wirklich nichts. Wo kommst du überhaupt so plötzlich her? Erzähl mir nicht, du wärst ganz zufällig des Weges gekommen.«
Rother schwieg, und Robin ließ ihren Blick über sein Templergewand schweifen und dachte an den Schemen in Weiß und Rot, den sie vorhin auf dem Basar gesehen hatte. »Du hast uns verfolgt.«
»Ich … wusste, dass man dich in dem Assassinenhaus untergebracht hatte«, antwortete Rother zögernd. »Als ich das Mädchen und dich herauskommen sah, war ich zuerst nicht sicher. Aber dann dachte ich, du hättest dich als Frau verkleidet, und bin euch gefolgt.« »Wer hat dir gesagt, dass ich in diesem Haus bin?«, fragte Robin.
Rother schwieg. Er wich ihrem Blick aus.
»Jemand hat dich beauftragt, mir nachzuspionieren«, beharrte Robin. »Wer war es? Bruder Dariusz? Du kannst es mir ruhig sagen. Es ist ohnehin alles vorbei. Ihr habt gewonnen.«
»Nein«, antwortete Rother, leise und noch immer, ohne sie direkt anzusehen. »Nicht Dariusz.«
»Also Abbé.« Robin seufzte. Der Gedanke hätte sie beruhigen sollen, aber er tat es nicht. Sie fühlte sich verraten.
Rother antwortete auch darauf nicht. Er starrte weiter an ihr vorbei ins Leere und stand dann mit einem plötzlichen Ruck auf. Seine Fackel flackerte.
»Wir müssen weg hier. Die Männer werden Alarm schlagen, und jemand wird kommen und nach dir suchen. Eine Frau im Tempelberg, das ist unmöglich. Kannst du laufen?«
Robin versuchte es. Sie kam tatsächlich auf die Füße, aber als sie einen Schritt machen wollte, gaben ihre Knie unter dem Gewicht ihres Körpers nach, und Rother konnte gerade noch rechtzeitig hinzuspringen, um sie aufzufangen. Wortlos ergriff er ihren Arm und legte ihn sich um die Schulter. Nemeth nahm die Fackel und ging voraus.
»Warum tust du das?«, fragte Robin. »Wenn sie dich zusammen mit mir erwischen, dann ist es auch um dich geschehen. Lass mich einfach hier und bring dich in Sicherheit.«
»Es ist nicht meine Aufgabe, dich hier zurückzulassen und mich in Sicherheit zu bringen«, antwortete Rother. »Und nun schweig still. Ich muss mich konzentrieren.«
»Worauf?«, wollte Robin wissen.
»Auf die Frage, wie wir lebend hier herauskommen«, antwortete er.
21. KAPITEL
Eine halbe Stunde später war auch Robin nicht mehr sicher, ob sie das Tageslicht jemals wiedersehen würden. Sie war auch nicht sicher, ob es wirklich eine halbe Stunde gewesen war oder vielleicht auch zwei oder ein ganzer Tag. Zeit war auf eine sonderbare Weise bedeutungslos geworden. Im flackernden roten Licht der Fackel, die Nemeth vor ihnen hertrug, wirkten die unheimlichen Gänge und Stollen, durch die sie sich bewegten, nicht nur immer fremdartiger und bizarrer, sondern auch irgendwie alle gleich. War ihr der Große Tempel bedrohlich und einschüchternd vorgekommen, so ging von diesem lichtlosen uralten Labyrinth etwas kaum in Worte zu fassendes, Atem abschnürendes aus. Sie
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