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Die Rückkehr der Zehnten

Titel: Die Rückkehr der Zehnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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helfen.«
    Gehorsam wischte Lis sich die Tränen fort und nahm einen tiefen Schluck von dem, was sich als scharf gewürzte Fleischbrühe entpuppte. Tona lächelte und brachte ihr Brot und ein paar Stücke eines runden Gebäcks, das schwach süß und mehlig schmeckte. Die Frau mit dem Silberschmuck lachte und fuhr damit fort, den Teig zu rühren.
    Tona zupfte an einer Falte in ihrem Ärmel und lächelte Lis an. Ganz bewusst vermied sie es, auf das Feuermal zu schauen, und Lis empfand wegen dieser Rücksichtnahme eine warme Welle von Zuneigung für die einfühlsame Frau. Zum ersten Mal an diesem Tag lächelte sie und erinnerte sich an die vergangene Nacht. Schritt für Schritt ging sie den ganzen Weg noch einmal, während sie aß und Tona beobachtete, die sich mit einem Becher Brühe neben sie gesetzt hatte. Ab und zu strich sie sich eine kupferfarbene Strähne aus dem Gesicht und warf den Hunden ein Stück Brot hin, das diese sich gierig und sabbernd schnappten. Mangel an Nahrungsmitteln schien es in dieser Stadt nicht zu geben.
    »Ist Zoran dein Mann?«, fragte Lis und nahm noch einen Schluck.
    Tona zog überrascht die Brauen hoch, dann lachte sie und schüttelte den Kopf. »Nein, Zorans Frau ertrank im vergangenen Frühjahr beim Fischen. Sie war die Schwester meiner Mutter.« Ihr Gesicht nahm einen ernsteren Ausdruck an. »Meine Mutter lebt auch nicht mehr. Es ist vier Winter her, seit sie gestorben ist.«
    Bingo, dachte Lis. Wieder einmal trete ich sofort zielsicher in den Fettnapf. »Das tut mir Leid, Tona.«
    Tona zuckte die Schultern. »Sie würde noch leben, wenn die Desetnica eher gekommen wäre«, sagte sie leise.
    Krampfhaft überlegte Lis, wie sie das Thema wechseln konnte. Verstohlen schaute sie sich in der Hütte um. »Lebt ihr alle in diesem einen Raum zusammen?«, fragte sie dann.
    »Ihr in Arkona etwa nicht?«, gab Tona die Frage erstaunt zurück.
    Lis beeilte sich, eine passende Antwort zu finden. »Na ja, bei uns leben Tiere und Menschen nicht unter einem Dach – zumindest nicht Pferde und Kühe. Und wir haben so etwas wie Wände.«
    »Oh, Wände haben die meisten Häuser auch. Aber das hier ist eine Dimnica – eine Hütte für uns alle. Wir sind sieben Leute, die Gäste nicht mitgerechnet. Wir schlafen in diesem Raum und räumen tagsüber die Schlaffelle weg. Es ist nützlich, die Tiere im selben Raum zu haben, so werden sie nicht gestohlen und im Winter wärmen sie uns zusätzlich zum Feuer.« Sie machte eine Pause und betrachtete Lis nachdenklich. »Wenn ich mir dein Gesicht anschaue, glaube ich, dass du nicht begeistert davon bist, hier bei uns zu schlafen.«
    »Nein, nein«, wehrte Lis rasch ab. »Ich war nur neugierig…«
    Als wäre ihr eben ein Licht aufgegangen, lächelte Tona verschmitzt. »Jetzt habe ich verstanden, was du eigentlich wissen willst!«
    Lis zog die Augenbrauen hoch. »Ach ja? Was denn?«
    Verschwörerisch beugte sich Tona zu ihr, aber die Frau mit den klimpernden Ohrringen hatte schon alles mitgehört und konnte sich ein Kichern nicht verkneifen. »Wenn du alleine sein möchtest – oder zu zweit, dann findest du in der Truhe dort hinten Vorhänge aus Wolle.«
    Lis wurde rot und schüttelte den Kopf. »O nein, das meinte ich nicht, ehrlich.« Dachte Tona etwa auch, Levin wäre ihr Freund? Andererseits – sie konnte ihr jetzt ja schlecht sagen, dass sie Geschwister waren. Und vielleicht hatte das Wort »Dienerin« in dieser seltsamen Stadt auch eine ganz andere Bedeutung.
    Plötzlich sprang Tona auf und holte aus einem Ledersack in der Ecke einen grob gewebten Stofffetzen hervor, den Lis erst auf den zweiten Blick als Kleid erkannte. Bei genauer Betrachtung war es ganz hübsch, ein wenig sah es aus wie die langen Gewänder, die auf dem Flohmarkt stets bei den Ständen mit den Räucherstäbchen hingen. Natürlich war es nicht so bunt, sondern sandfarben, und hatte einen runden Ausschnitt, der kunstvoll mit einem dicken, dunklen Faden umstickt war.
    »Hier, zieh das an!«, forderte Tona sie auf und beobachtete, wie Lis sich zögernd aus ihrer Regenjacke schälte und die Jeans abstreifte. Der Stoff des Kleides kratzte auf der Haut, deshalb ließ Lis ihr T-Shirt darunter an. Tona holte einen Ledergürtel, den sie ihr umband und kunstvoll verknotete, dann trat sie zurück und nickte.
    »Und ihr Haar?«, rief die Frau mit dem Silberschmuck. Sie klopfte sich Mehl von den Fingern und kam heran. Kurzerhand griff sie in ihr dunkles Haar und zog einen Kamm aus Perlmutt hervor, den

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