Die Rückkehr Des Bösen
offenbarte. Vielmehr deutete es darauf hin, dass er ausreichend Vertrauen gefasst hatte, um Gwen solche ängstigenden und geheimen Fantasien anvertrauen zu können.
Andererseits hatte Gwen zu lange Täterprofile erstellt und kriminelle Motive analysiert, als dass sie eine derartige Äußerung leichtfertig hätte abtun können. Jetzt meldete sich die Kriminalistin zurück, und sie ertappte sich, dass sie in Nash plötzlich einen Tatverdächtigen sah und nicht mehr ihren Klienten.
Vielleicht hatte ihr Vater doch Recht, und es war tatsächlich eine Art von Besessenheit. Sie erinnerte sich daran, dass es einmal eine Zeit gab, in der sie die FBI-Akademie in Quantico in so vielen Fällen beriet, dass Assistant Director Cunningham schon flachste, sie müsse eigentlich ein eigenes Dienstzimmer bekommen. Dann jedoch, als ihre Praxis hier in Washington zu florieren begann, hatte sie zu ihrer eigenen Überraschung auf einmal festgestellt, dass sie immer weniger Interesse verspürte, sich mit Sittenstrolchen und Mördern zu beschäftigen. Stattdessen hörte sie sich an, was frustrierte Senatorengattinnen oder scheinbar abgebrühte Parlaments ab geordnete quälte. Nicht ganz ohne Stolz hatte sie Maggie kürzlich verkündet, dass sie jetzt schon seit fast zwei Jahren nicht mehr zusammen mit einem Mörder in einem Raum gesessen habe. Seit damals in Boston, als Eric Pratt ihr beinahe einen angespitzten Bleistift in die Kehle gejagt hätte.
Ihren Eltern hatte sie davon wohlweislich nichts erzählt. Ach, wenn ihr Vater wüsste, wie oft sie ihre „zwanghafte Leidenschaft“ schon in die brenzligsten Situationen gebracht hatte. Würde er sie dann wohl ernster nehmen? Oder würde er ihr Leichtsinn vorwerfen?
Egal. Jedenfalls war es kein Zufall gewesen, dass das FBI sie seitdem weit weniger häufig als Gutachterin anforderte, sondern vielmehr ihr eigener Wunsch. Derzeit setzte sie sich mit kriminellem Verhalten lieber in ihren Büchern und Fachartikeln auseinander, und ihr fehlte nicht das Geringste. Und dennoch sah es jetzt ganz danach aus, als würde sie wieder in diese Welt hineingesogen, der sie den Rücken gekehrt hatte. Dieses Schwein hatte es sich in den Kopf gesetzt, sie gegen ihren Willen zu seiner Komplizin zu machen, und anstatt ihr ein Messer oder einen spitzen Stift an die Kehle zu drücken, stieß er Drohungen aus, die sie nicht minder in Angst versetzten. Aber sie konnte es auf gar keinen Fall riskieren, die Polizei einzuschalten oder ihren Vater einzuweihen, nein, das würde sie niemals wagen.
Es musste einfach eine Verbindung geben! Je mehr sie darüber nachdachte, desto stärker war sie davon überzeugt, dass sie den Dreckskerl kennen musste. Vielleicht war es ja tatsächlich jemand, der ihr einmal die Woche gegenübersaß und sie nach allen Regeln der Kunst ausspionierte, während er sie dafür bezahlte, von ihr analysiert zu werden?
Sie warf einen Blick auf die Uhr, die auf ihrem Kaminsims stand. Etwas Zeit blieb ihr noch, bevor sie in die Praxis zu ihren samstäglichen Vormittagsterminen musste. Nash hatte um den ersten Termin gebeten, da er über das Wochenende verreisen wollte. Plötzlich fiel Gwen ein, was Maggie über die kopflosen Frauenleichen geäußert hatte, nämlich dass der Täter sie auch irgendwo außerhalb der Washingtoner Bezirksgrenzen losgeworden sein könne. Unwillkürlich fragte sie sich, ob es Zufall war, dass Rubin Nash schon wieder verreisen wollte.
Das Klingeln ihres Handys unterbrach ihre Grübeleien. Sie musste das Gerät erst aus der Aktentasche holen, ehe sie sich mit ihrem Titel und Namen meldete.
„Hallo, mein Schatz. Ich bin’s, Dad.“
Mit einem Schlag überfiel sie ein eisiges Frösteln, doch sie bemühte sich, sich ihren Schrecken nicht anmerken zu lassen. Ihr Vater körte sich geradezu fröhlich an, anscheinend war er bester Laune. Es ging ja auch auf den Unabhängigkeitstag zu, und es verstrick nur selten ein Feiertag, an dem er nickt anrief.
„Wie geht’s euch denn, dir und Mom?“
„Gut. Prima. Deine Mutter spielt Bridge. Sag mal, wo bleibst du denn, Mäusehen? Ich warte schon seit einer knappen kalben Stunde auf dick.“
„Wie bitte?“
„Auf deiner Karte stand dock, dass wir uns um acht im ,St. Regis’-Hotel zum Frühstück treffen. Warum hast du mir denn nicht eher gesagt, dass du heute in New York bist?“
Gwen tastete nach der Sofakante und ließ sich langsam auf das Polster sinken. Der Mörder kannte sie also gut genug, um zu wissen, dass sie nicht so
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