Die Rueckkehr des Daemons
Psychologie der Farben reden hören. Wie man seinen Arbeitsplatz am sinnvollsten gestaltete, um sich besser konzentrieren zu können. Wie Küchen aussehen sollten, damit das Essen besser schmeckte, und wie das Schlafzimmer, damit man Ruhe fand. Je nach Diagnose des Krankheitsbildes oder dem Grad der Störung wählte er sicher zwischen diesen beiden unterschiedlichen Räumen aus. Depressive hier hin, Psychotiker da rüber, Suizidgefährdete nie zu Gelb, Gewalttätige auf gar keinen Fall zu Karos. Ganz sicher überließ Marblesteen nichts dem Zufall, der Erfolg und sein exzellenter Ruf gaben ihm Recht.
Wie in dem anderen Zimmer auch gab es hier jede Menge gerahmte Fotografien, einige sogar mit Hollywoodgrößen. Marblesteen mit Marlon Brando. Marblesteen beim Golfen mit Jack Nicholson. Marblesteen mit Doktorhut. Marblesteen als Sieger bei einem Schwimmwettkampf.
Belustigt betrachtete Sid ein Gruppenfoto, das vor der Columbia University aufgenommen worden war. Was für komische Kleidung alle trugen! Die männlichen Studenten steckten in eng geschnittenen Anzügen mit schmaler Krawatte, die weiblichen in biederen, wadenlangen Röcken und weißen Blusen. Sid musste kichern. Miss Robinson lief heute noch so rum! Amüsiert über die angestrengten Versuche der Abgelichteten, seriös auszusehen und trotzdem zu lächeln, suchte er nach Marblesteen.
Auf den ersten Blick erkannte er ihn nicht, schließlich musste das Bild ungefähr vierzig Jahre alt sein. Dann entdeckte er einen schüchternen jungen Mann, dessen Gesichtszüge mit etwas Fantasie denen des Doktors ähnlich sahen. Der junge Marblesteen grinste breit, aber etwas verlegen in die Kamera. Jetzt ging Sid ein Licht auf, warum er den Psychiater nicht gleich erkannt hatte: Seine Zähne waren anders. Er ging noch näher an das Foto und zuckte zusammen. Da, wo der rechte Schneidezahn sein sollte, klaffte eine Lücke. Sids Magen krampfte sich zusammen. Davon hatte doch Nagy in seinem Brief geschrieben! Ausgeschlagene Schneidezähne, das Erkennungszeichen der Mysten! Aber das konnte genauso gut ein blöder Zufall sein…
»Mein lieber Sid!« Isaac Marblesteen stürmte herein, aber er fand das Zimmer leer. Sid lag draußen auf der Feuertreppe, sein Herz hämmerte Löcher in den Stahl.
52. Kapitel
NYC , Manhattan, 10. Oktober 2007, 9 Uhr 15
Die beiden Männer reckten ihre Köpfe nach oben. Der kleine Spaziergang vom Chelsea Hotel die 23th Street East entlang hatte sie am Flatiron-Building vorbei geführt. An der Stelle, wo sie sich mit der 5th Avenue und dem Broadway, diesem unsäglichen Querulanten, kreuzte, ragte auf dem Grab von General William J. Worth, einem Helden des Mexikanischen Kriegs, ein Obelisk in den New Yorker Himmel. Ein schöner Platz für die letzte Ruhestätte, mitten auf einer Verkehrsinsel. Der angrenzende Madison Square Park bot auch nicht mehr Stille.
Nun betrachteten sie durch die Schlucht zwischen den Wolkenkratzern die goldene Pyramide an der Spitze des Gebäudes, dem Ende ihrer Sightseeingtour. Der Hauptsitz der New York Life Insurance Company, 45–55 Madison Avenue, war 1928 auf den Trümmern von Barnums American Museum und dem ersten Madison Square Garden erbaut worden.
An der Seite von Raúl Mendoza betrat Birger Jacobsen endlich die prächtige Eingangshalle. Mendoza war nervös und angespannt, das spürte Birger deutlich. So wie er selbst im Jahr 1979, vor mehr als einem halben Leben. Er entschloss sich deshalb, dem Argentinier keine weitere Zeit zum Staunen zu geben. Schnurstracks marschierte er auf einen der Fahrstühle zu. Als sie in die Kabine stiegen, tippte sich der ältliche Liftboy höflich an die dunkelblaue Mütze.
»Wohin darf ich die Gentlemen bringen?«
Als die Tür mit einem satten Zischen zugefahren war, holte Birger Jacobsen den Flakon mit Eselsblut aus seinem Jackett, zog den Korken heraus und verrieb einige Tropfen auf seinem Handgelenk. Er genoss das Aufflackern von Panik in den Augen des Fahrstuhlführers. Angst da, Macht hier.
» Jo-Seth, ba’ek em ach, schan’ek em heti! «, zischte er ihm entgegen.
Sofort verschwand die Angst, der Mann bekam einen stieren, dümmlichen Blick. Nicht einmal die Wimpern bewegten sich noch.
Mit wenigen Handgriffen öffnete Birger die Seitenverkleidung des Fahrstuhls. Ein gemauerter Gang kam zum Vorschein. Eng, beklemmend und gerade so hoch, dass ein normal gebauter Mann nicht mit dem Kopf an den Rundbogen der Decke stieß. Im Abstand von zehn Metern waren Fackeln angebracht, die
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