Die Rueckkehr des Daemons
einer gelungenen Zirkusvorstellung. Die Mitglieder nannten das den Atem . Die Gesichter der bis zur Bewusstlosigkeit Gefolterten und Toten verrieten anschließend nichts von der unendlichen Qual, die sie erlitten hatten.
Runter in die Höhle? Stanford White zuckte zusammen. Wie konnte sie die Rettung sein? Der Tempel war ja die Ursache seiner Misere! Warum nur hatte er so neugierig sein müssen, warum all sein Glück und den Erfolg aufs Spiel gesetzt? Warum nur hatte er Tanaffus am zweiten Eingang der Höhle auflauern müssen, an der Stelle, die nur sie zwei kannten, der Rüde und sein Architekt?
Stanford White traf eine Entscheidung. Er musste sterben, aber das mussten schließlich alle einmal. Nur die anderen hatten nicht wie er die Möglichkeit, die Todesursache selbst auszuwählen, wenn der Sensenmann unvermittelt an die Tür klopfte. Ja, er würde es tun und dem Tod offen in die Augen sehen wie bei einem Duell zwischen Gentlemen im Morgengrauen. Zwei Gentlemen, eine Waffe. Aber sein Tod sollte nicht umsonst sein. Vorher würde er seine letzte Trumpfkarte ausspielen: Tanaffus’ wahren Namen verraten.
Stanford White drehte sich um und eilte zur Garderobe zurück. »Wie heißt du?«, fragte er die Negerin hinter dem Tresen.
Die Frau machte einen unbeholfenen Knicks. »Sugar Washington, Mista !«
»Gut, Sugar! Bring mir Papier und Bleistift, schnell!« Hektisch sah er sich um. Die Schritte waren verstummt. Außer dem Gelächter auf dem Dach war es still.
Nur mit großer Mühe schaffte er es, den Namen leserlich auf einen Block zu schreiben. Er riss das oberste Blatt ab, knickte es und drückte es der Garderobenfrau zitternd in die Hand.
»Wenn mir heute etwas zustoßen sollte, Sugar, gib diesen Zettel…«
In Panik fuhr er herum. Die Schritte schallten wieder durch die Halle, der Seth-Seher hatte ihn gefunden. Mit fiebrigen Augen suchte er die Ecken und Winkel ab, die er selbst geplant hatte, nirgendwo bewegte sich der kleinste Schatten. Ohne sich noch einmal umzudrehen, rannte Stanford White los.
Sugar Washington rief ihm hinterher. » Mista , ich…!«
Stanford White stieß die Tür zum Dachgarten auf, die Vorstellung war auf ihrem Höhepunkt. Hilflos schnaufte er noch einmal tief durch. »Ich habe getan, was ich konnte!«, ermahnte er sich. »Jetzt nimm dein Schicksal an!«
Mit stolzen, ein wenig wackeligen Schritten marschierte er durch die Reihen der murrenden Zuschauer. Hier würde Tanaffus ihn nicht mit seinem Atem umbringen können! Dann krachte ein Schuss. Ein fremder Mann baute sich mit glasigen Augen vor ihm auf, als er zu Boden sackte, eine schmauchende Pistole in der Hand. Die Musik erstarb. Die Damen kreischten.
»Eifersüchtiger Ehemann!« , tuschelten einige Gaffer aufgeregt, »in flagranti!« , andere. Die gesamte höhere Gesellschaft der Stadt drängte sich um ihn und die Blutlache, die ihm aus dem Bauch quoll.
Neben dem Schmerz macht sich Stolz in Stanford Whites Brust breit. Der Tod war unausweichlich.
Das Letzte, was er von dieser Welt wahrnimmt, sind mitten im Tumult die blitzenden Augen der Person, die sich Sajjid Tanaffus nennt. Und einen Hauch von Eselsblut.
Stanford White klappt die Augen zu in der Gewissheit, im Tod seinen eigenen amerikanischen Traum zu leben: eine ewige Legende der pulsierendsten Stadt der Welt geworden zu sein.
74. Kapitel
NYC , Manhattan, 11./12. Oktober 2007, nachts
Sid legte sein Ohr an die Wohnungstür und lauschte. So sehr er sich auch konzentrierte, er hörte und roch nichts außer einem mächtigen, stinkenden Schluckauf von Jurgen, dem Kaizer. Vor einigen Tagen hatte ihm seine Mutter erzählt, dass sie heute zu einer Gala mit den van Arps in der Carnegie Hall verabredet waren. Anscheinend ließ sie das Schicksal ihres einzigen Sohnes kalt genug, um den Termin nicht abzusagen. Wähnten sie ihn immer noch in der Obhut ihres Busenfreunds Panajotis? Sid nickte den anderen beiden stumm zu. Die Luft war rein, insgeheim hatte er allerdings gehofft, Bob und Caroline würden in der Küche vor seinem Foto hocken und sich die Augen ausweinen.
Sein Schlüssel passte noch, auch die Kombination der Alarmanlage war nicht verändert worden. Die Tür schwang auf und die drei huschten eilig in den Flur. Jurgen verschwand sofort Richtung Wohnzimmer. Sid schloss die Augen und konzentrierte sich. Ein feines Knistern schwirrte durch die Luft, das von der Telefonanlage auszugehen schien. Die Glasfasern vibrierten! Schweigend lauschte er dem Gespräch, das vom
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