Die Rückkehr des Fremden (German Edition)
Friedhof kam. Konnte er annehmen, dass sie an seinem Grab gewesen war? Diese Möglichkeit rührte ihn an. Ihre Figur wurde mit jedem Tag weicher und runder, und sie war in seinen Augen jetzt schöner als in den ganzen Jahren zuvor. Plötzlich wanderten seine Gedanken zum letzten Mal zurück, als er sie zärtlich in den Armen gehalten hatte. Diese Erinnerung stand ihm so deutlich vor Augen, dass er sich schmerzlich danach sehnte. Dass er sich schmerzlich nach ihr sehnte.
Kathryn blieb ein wenig abseits von einer Gruppe Frauen stehen, die um den Tisch herumstanden, und Larson konnte ihre Anspannung, ihren Wunsch, dazuzugehören, fast fühlen. Eine dunkelhaarige Frau bemerkte sie schließlich. Sie trat auf sie zu und nahm sie an der Hand. Larson fühlte, wie sich sein Mund zu einem Lächeln verzog.
„Ich kenne diese Dame nicht“ , hatte das Mädchen im Bordell vor wenigen Minuten zu ihm gesagt. „Diese Dame.“
Die Frauen im Bordell seiner Mutter hatten sich gegenseitig immer als Mädchen bezeichnet. Den Begriff Dame benutzten sie nur für … nun ja, für eine Dame. Konnte es sein, dass …
„Wir könnten da unten ein Paar zusätzliche Hände gut gebrauchen“, sagte ein Mann neben ihm.
Aus seinen Gedanken gerissen, drehte sich Larson in seinem Sattel herum.
Ein jugendlich aussehender Mann, der Ähnlichkeit mit Abraham Lincoln hatte, saß auf einer gescheckten Stute. Larson erkannte ihn sofort und versuchte, sich an den Namen seiner Tochter zu erinnern. Das kleine Mädchen mit den violetten Augen … Lilly.
„Ich bin Patrick Carlson.“
Larson schüttelte dem Pfarrer die Hand. „Ich heiße Jacob“, sagte er und hoffte, Carlson würde nicht nach seinem Nachnamen fragen.
„Hallo, Jacob. So wie ich es sehe, könnten wir beide dort hinunterreiten, ein paar Nägel einschlagen und vielleicht auch helfen, die eine oder andere Wand aufzustellen. Und dann können wir uns mit einem königlichen Essen verwöhnen lassen. Was meinen Sie?“
Carlson lächelte. Das erste Wort, das Larson in Bezug auf diesen Pfarrer in den Sinn kam, war echt . Aber trotzdem zögerte er. Er schaute zu den vielen Menschen hinüber und fuhr sich mit der Hand über seinen frisch gestutzten, ungleichmäßigen Bart. Er würde Kathryn heute gerne sehen, wenn auch nur aus der Ferne. Aber verkraftete er es, mit diesen ganzen anderen Leuten zusammen zu sein?
„Was ich an dieser Kirche besonders mag, sind die Menschen“, sprach Carlson weiter, als hätte er nicht einmal Luft geholt. „Es sind nette Leute. Freundlich, großzügig, manchmal ein wenig sündig, aber Gott ist bereit, uns zu vergeben. Deshalb denke ich, können wir dankbar und zufrieden sein.“
Larson entdeckte das Leuchten in den Augen des Mannes und lächelte. „Vielleicht gibt es ein wenig abseits von all den Leuten eine Arbeit?“
„Wir könnten ein paar Bretter sägen. Das ist eine Arbeit für zwei Männer. Machen Sie mit?“ Als Larson nickte, deutete Carlson zu einem Stoß Bretter, der ein wenig abseits von den anderen Männern lag.
„Danke“, sagte Larson leise.
„Bedanken Sie sich noch nicht. Sparen Sie sich das für später auf, wenn Sie Lillys Heidelbeerkuchen probiert haben. Sie hat sich nach Ihnen erkundigt. Unsere Lilly vergisst nie ein Gesi …“ Carlson brach mitten im Wort ab und atmete schwer aus. „Jacob, das tut mir leid. Ich wollte damit nicht sagen …“
Larson betrachtete den jüngeren Mann neben sich. Dann nahm er langsam die Brille ab und hoffte, Carlson würde sehen, dass er seine Worte aufrichtig meinte. „Besteht die Chance, dass Ihre Frau Kaffee gekocht hat? Er hat neulich sehr gut geschmeckt.“
Carlson sah ihm einen Moment in die Augen, dann nickte er. Er beugte sich vor und fasste Larson freundschaftlich an der Schulter. „Hannahs Kaffee ist wie Gottes Barmherzigkeit. Er ist immer gut und er geht nie aus. Ich hole uns welchen und wir treffen uns in einer Minute drüben bei den Brettern.“
Kathryn schob ein Stück Blaubeerkuchen auf den Teller des Jungen und lachte über sein breites Grinsen.
„Den Kuchen hat meine große Schwester gebacken“, sagte er mit einem Lispeln, bevor er zu seiner Decke zurücklief.
Kathryn schaute ihm nach. Seine dichten, braunen Haare und seine haselnussbraunen Augen weckten in ihr wieder die Frage: Trug sie Larsons Sohn oder Tochter unter ihrem Herzen? Egal, ob es ein Junge oder ein Mädchen war, sie betete, dass das Kind das gute Aussehen seines Vaters geerbt hätte.
Annabelle war heute Morgen
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