Die Rückkehr des Fremden (German Edition)
sie wieder zu berühren. Für einen kurzen Augenblick träumte er davon, sie würde ihm dann zeigen, dass sie ihn immer noch liebte. Doch dann fiel sein Blick auf seine entstellten Finger, die unbeholfen die Gabel umklammerten. Er ließ seinem Blick durch den Stall wandern.
Er wohnte in diesem Stall. Seine Decke lag auf einem Heubett. Er konnte Kathryn nicht einmal ein anständiges Bett bieten, geschweige denn ein Zuhause. Larson stellte sein halb gegessenes Stück Kuchen beiseite.
William Cummings hatte recht gehabt. Kathryn verdiente etwas Besseres. Das war schon immer so gewesen.
„Diese Bibel gehörte dem Ehepaar, von dem Sie uns erzählt haben.“ Ihre Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. Sie hatte die Bibel aufgeschlagen, und ihre Finger bewegten sich über eine Seite. „Isaiah und Abby. Aber es steht kein Nachname dabei.“
Larson lächelte, da ihm das bis jetzt nicht aufgefallen war. „Ich kann Ihnen ihren Nachnamen nicht sagen. Ich habe sie nie danach gefragt.“
Sie betrachtete ihn einen Augenblick lang. „Aber sie bedeuten Ihnen sehr viel, nicht wahr? Sie scheinen ganz besondere Menschen zu sein. Ich würde sie gern kennenlernen.“
Ihre Stimme klang so ernst. Er nickte und wünschte auch, sie könnte die beiden kennenlernen. Und er wünschte sich, sie könnte ihn wieder so sehen wie früher. „Sie würden die beiden wirklich mögen, Ka …“
Larson brach abrupt ab. Er hätte fast Kat zu ihr gesagt. Diesen Namen hatte er seit einer halben Ewigkeit nicht mehr benutzt. Er zwang sich zu husten, um seinen Versprecher zu überdecken. „Sie und Abby haben vieles gemeinsam. Sie würden sich sehr gut verstehen.“
Kathryn lächelte und schien nicht zu merken, dass er sich fast versprochen hätte. Sie schlug die Bibel an der Stelle auf, an der sein Lesezeichen steckte, und holte das getrocknete Präriegras heraus. „Lesen Sie gerade dieses Kapitel?“ Als er nickte, begann sie. „Denn wer kann uns von der Liebe Christi trennen?“
Larsons Herz zog sich zusammen, als er sie betrachtete und sah, wie sich ihre Lippen bewegten. Er hörte zu, wie ihre Stimme anstieg und fiel. Sie las die Bibelstelle mit Überzeugung, dann warf sie ihm einen Blick ungetrübter Freude zu. „Das ist eine meiner Lieblingsstellen. ‚Denn ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch eine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn.‘“
Larsons Brustkorb zog sich so sehr zusammen, dass es schmerzte. „Glauben Sie das?“
„Ja.“ Ihre Antwort kam ohne Zögern, aber dann folgte ein Kopfschütteln. „Aber ich lebe nicht immer danach. Manchmal schaue ich mir mein Leben an und die Entscheidungen, die ich getroffen habe.“ Sie zuckte leicht die Achseln. „Ich denke über die Dinge nach, die mir passiert sind, und ich habe das Gefühl, dass Gott mich vielleicht aus den Augen verloren hat, oder dass er mich vielleicht nicht mehr so sehr liebt.“ Sie strich mit der rechten Hand über das Kind in ihrem Bauch und seufzte. „Doch dann fühle ich wieder so stark seine Gegenwart und Nähe, dass ich fast seinen Atem auf meinem Gesicht spüren kann.“ Sie lachte leise, und ihr Gesichtsausdruck wurde plötzlich scheu und unsicher. „Ich weiß, dass das dumm klingen muss.“
„Nein … das klingt überhaupt nicht dumm.“
Larson bemerkte das Glänzen in ihren Augen, und mit einem Mal war es ihm, als sähe er sie zum allerersten Mal. Sie trug die Haare offen. Sie fielen in großen Wellen über ihre Schulter. Wie viele Jahre hatte er mit dieser Frau Tag für Tag zusammengelebt, nachts neben ihr geschlafen und doch überhaupt nicht begriffen, wer sie wirklich war? Er hatte diesen Teil von ihr nicht gesehen. Diesen Teil, der nie vergehen oder sterben würde. Was für ein Narr er doch gewesen war!
„Es wird spät.“ Sie legte die Bibel weg. „Ich sollte jetzt lieber gehen.“
Larson begleitete sie zu ihrem Haus zurück und genoss den Klang ihrer Stimme, als sie über den Tag sprach, den sie beim Schulhausbau verbracht hatten. Dann plauderte sie über den Pfarrer, seine Frau und ihre Kinder. Die Nachtluft duftete heute besonders süß, und er war sicher, dass das mehr mit der Frau zu tun hatte, die neben ihm herging, als mit dem Sommerwind.
Auf ihrer Veranda blieben sie stehen, und er beobachtete, wie sich ihre Hände im Rhythmus zu ihren Worten bewegten. In diesem
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