Die Rückkehr des Fremden (German Edition)
sie aufpasste, könnte er sie davon abhalten, auf Abwege zu geraten und die Arme eines besseren Mannes zu suchen. Aber wie vertraute ein Mann seiner Frau sein Herz an?
Larson fuhr sich mit einer Hand über das Gesicht und setzte sich auf. Der spärliche Bart fühlte sich immer noch fremd an, aber er half, die Narben in seinem Gesicht zu verstecken. Sein Backenbart war stellenweise wieder gewachsen, genauso wie seine Haare. Er glitt von dem Felsen und trat an den Rand des Sees. Seine Gedanken wanderten zu seinem ersten Nachmittag hier mit Isaiah. Bis zu jenem Tag, an dem er zum ersten Mal sein Spiegelbild im Wasser gesehen hatte, war ihm nicht bewusst gewesen, dass es in der Hütte keinen Spiegel gab.
Er griff nach der Bibel und schlug die Stelle auf, die Abby für ihn markiert hatte. Er saugte die Verse auf und hörte Abbys Stimme, während er las.
„Aber wer glaubt dem, was uns verkündet wurde, und wem ist der Arm des HERRN offenbart? Er schoss auf vor ihm wie ein Reis und wie eine Wurzel aus dürrem Erdreich. Er hatte keine Gestalt und Hoheit. Wir sahen ihn, aber da war keine Gestalt, die uns gefallen hätte.“
Larson brach ab und las diese Stelle noch einmal.
„Diese Bibelstelle spricht von Jesus“ , hatte Abby ihm erklärt. „Jesaja spricht über das Kommen des Herrn und davon, wie Jesus behandelt werden wird.“
Keine Gestalt und Hoheit. Keine Gestalt, die uns gefallen hätte. Diese Bibelstelle über Jesus könnte genauso gut von ihm sprechen. Larson las weiter.
Er war der Allerverachtetste und Unwerteste, voller Schmerzen und Krankheit. Er war so verachtet, dass man das Angesicht vor ihm verbarg; darum haben wir ihn für nichts geachtet.
Larson schloss die Augen und stellte sich vor, er würde den Weg zurück zu seiner und Kathryns Hütte gehen, vorbei an den zitternden Espen und vorbei am Fountain Creek, der von den verschneiten Bergen gespeist wurde. Obwohl die Sorge, dass Kohlman seine Kreditrückzahlung eingefordert haben könnte, ihm keine Ruhe ließ, klammerte sich Larson immer noch an den Funken Hoffnung, dass Kathryn es irgendwie geschafft haben könnte, die Ranch am Laufen zu halten. Vielleicht arbeitete sie im Garten oder kam gerade vom Bach zurück und ihre Haare waren vom Baden noch feucht, wenn er nach Hause kam. Er stellte sich ihre hübsche Figur vor, die Rundungen ihres Körpers, die ihm so vertraut waren. Ein Feuer regte sich in ihm. Er biss die Zähne zusammen. Er sehnte sich danach, wieder mit ihr zusammen zu sein. Und er stellte sich ihre zarten, braunen Augen vor, die zu ihm hinaufschauten …
An diesem Punkt verblasste das Bild plötzlich.
Wie würde Kathryn reagieren, wenn sie ihn jetzt sähe? Würde sie ihn verachten? Würde sie ihr Gesicht von ihm abwenden?
Larson legte die Bibel beiseite und beugte sich über den friedlichen Spiegel des Sees. Der Mann, der ihm aus dem Wasser entgegenschaute, war ein Fremder. Er nahm die Mütze ab, die Abby ihm mit der Wolle eines alten Pullovers gestrickt hatte, und fuhr sich mit der Hand über den Kopf. Seine Kopfhaut war an einigen Stellen faltig und an anderen, an denen das Feuer seine Hautschichten geschmolzen hatte, glatt wie Wachs. An einigen Stellen wuchsen ein paar borstige Haare, die Abby auf seine Bitte hin abrasiert hatte. Er betrachtete sein vernarbtes Spiegelbild. Konnte Kathryn je an seinen Narben vorbeischauen und den Mann sehen, der daruntersteckte? Würde sie es lang genug mit ihm aushalten, um die Veränderungen in seinem Herzen zu bemerken?
Ihm wurden schmerzlich die Augen über sich selbst geöffnet. Hätte er, bevor ihm das alles passiert war, Kathryn das gleiche Mitgefühl entgegengebracht, um das er sie bald bitten würde? Hätte er das Herz gehabt, an ihrem Aussehen vorbei auf das Innere zu sehen, wenn sie so entstellt wäre?
Ein Windhauch zog über den See und bewegte das Wasser. Sein Spiegelbild verschwand. Larson stand auf und zog sich die Mütze wieder über den Kopf. Dann rieb er sich die Hände. Die Narben hielten die Kälte nicht ab. Sie drang bis zu seinen Knochen durch. Er seufzte und kämpfte gegen das vertraute Gefühl, ein Versager zu sein – dieses Gefühl, das ihn nicht losließ. Das Datum, an dem die Kreditrückzahlung an die Bank fällig war, war längst verstrichen, aber er wusste, dass Isaiah recht hatte. Nicht alles im Leben ließ sich in Dollars und Cents messen. Und die Dinge, die sich in Geld messen ließen, konnten einem von einem Moment auf den anderen geraubt werden. Das hatte er auf
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