Die Rückkehr des Fremden (German Edition)
antwortete er schließlich leise, doch seine hellbraunen Augen verrieten Gefühle, die, so hoffte Kathryn, er nicht in Worte fassen würde. „Falls Sie etwas brauchen … irgendetwas …“ Er schaute ihr tief in die Augen. „Dann lassen Sie es mich wissen.“
Da sie kein Wort sagen konnte, nickte Kathryn nur und lächelte ihn an. Als die Tür hinter ihm ins Schloss fiel, atmete sie erleichtert aus.
Kathryn ging auf dem im Dunkeln liegenden Gehweg in Richtung Bordell und sah sich unwillkürlich alle paar Sekunden um. Obwohl sie nur zwei Nächte im Bordell geschlafen hatte und bereits vor mehreren Tagen ausgezogen war, wurde ihr schmerzlich bewusst, dass leicht ein falscher Eindruck entstehen könnte, wenn man sie wieder dort sähe. Und so sehr sie auch Annabelle und einige der anderen Frauen in dieser kurzen Zeit ins Herz geschlossen hatte, wollte sie nicht mit dem, was diese Frauen taten, in Verbindung gebracht werden.
Die ungestümen Rufe, die aus dem vorderen Salon drangen, verrieten ihr, dass das Geschäft heute Nacht gut lief. Sie umklammerte die Stofftasche in ihrer Hand und blieb in der Gasse an der Rückseite des Gebäudes stehen. Sie versuchte, sich vorzustellen, was Jesus in dieser Situation tun würde. Er hatte sich mit Prostituierten und Außenseitern der Gesellschaft angefreundet, er hatte sie trotz der bösen Gerüchte, die seine Freundschaft mit diesen Menschen begleitete, geliebt, und dann hatte er den Preis dafür bezahlt. Das war in diesem Moment kein tröstlicher Gedanke.
Mit einem letzten Blick über ihre Schulter schlich sie sich zur Treppe, die zur hinteren Veranda hinaufführte.
Zu ihrem eigenen Erstaunen hatte sie den Punkt überwunden, an dem ihr durch das, was hier vor sich ging, übel wurde. Jetzt fühlte sie stattdessen tief in sich einen Schmerz, den nur Gott heilen konnte. Sie hatte in Annabelles geschminkten Augen und in der kleinen, dunkelhaarigen Sadie eine tiefe Einsamkeit erkannt, die nur durch den Einen, der ihre Seelen liebte, ausgefüllt werden konnte. Gott wollte diese Frauen mit seiner Liebe überfließend erfüllen, während das Böse, das hier lauerte, ihren Körpern die Würde rauben und ihren Seelen die Hoffnung entreißen wollte.
Kathryn öffnete die Hintertür und sah Annabelle am Küchentisch sitzen. Sie hatte einen guten Zeitpunkt erwischt. „Annabelle, zu dir wollte ich.“
Annabelle drehte sich um, und Kathryns Lächeln verschwand.
„Was ist passiert?“
„Nichts. Mir geht es gut.“ Annabelle hielt sich ein blutverschmiertes Tuch an den Kopf und winkte Kathryn weg, als sie näher kam. „Einer der Männer wurde ein bisschen grob. Das ist alles. Ich kam gut mit ihm zurecht, bis er zum rechten Haken ausholte.“ Sie fluchte leise und bewegte ihr zartes Kinn. Ihre Zunge wanderte zur linken Seite ihres Mundes, wo die Haut neben ihren geschwollenen Lippen dunkelrot leuchtete. Ein dunkler Ring bildete sich bereits um ihr linkes Auge. „Ich habe es diesmal nicht kommen sehen.“
„Diesmal?“, fragte Kathryn entsetzt.
Annabelle schüttelte seufzend den Kopf. Ihre Augen verrieten ihr ungläubiges Erstaunen. „Du bist wirklich so unschuldig, wie ich denke, nicht wahr? Hat dein Mann dich denn nie geschlagen?“
Diese Frage überraschte Kathryn. Obwohl sie und Annabelle sich schon einige Male unterhalten hatten, hatte sie noch nie über Larson gesprochen. „Nein“, flüsterte sie und legte die Stofftasche auf den Tisch. „Mein Mann war nie grob zu mir.“
„Und wie war es, wenn das Fleisch angebrannt war oder seine Hemden nicht gewaschen waren?“ Aus Annabelles Augen funkelten ein Ärger und ein Schmerz, der so tief war, dass ihn sicher noch nicht viele Menschen hatten sehen dürfen. „Oder wenn er nicht mit dir zufrieden war?“
Kathryn traten Tränen in die Augen, und sie schüttelte den Kopf. „Nein, nicht einmal dann. Wir hatten unsere Meinungsverschiedenheiten. Versteh mich nicht falsch, aber … er hat mich nie geschlagen.“ Sie erinnerte sich an Larsons Trübsinn an manchen Tagen. „Allerdings zog er sich manchmal zurück und sprach nicht mit mir, oft mehrere Tage lang. Ich fragte mich, was in ihm vorging, und hätte viel gegeben, wenn er nur mit mir darüber gesprochen hätte.“
Sobald Kathryn das gesagt hatte, bereute sie ihre Worte. Beim Anblick der Blutergüsse und Schürfwunden auf Annabelles Gesicht wusste sie, dass zwischen der Existenz, die Annabelle ertrug, und dem Leben, das sie mit Larson führte, kein Vergleich war. Dem
Weitere Kostenlose Bücher