Die Rückkehr des Fremden (German Edition)
Leben, das sie mit Larson geführt hatte , verbesserte sie sich. Ihr Herz schlug schneller. Nein, nicht in der Vergangenheit. Sie würde dieses Leben wieder mit ihm führen. Er würde nach Hause kommen. Das fühlte sie.
„Was wurde aus ihm?“
Kathryn blinzelte.
„Aus deinem Mann.“ Annabelles Blick wanderte zu Kathryns Bauch. „Weiß er von dem Kind?“
Kathryns Kinnlade fiel nach unten. „Woher weißt du das?“
Annabelle bedachte sie mit einem vielsagenden Blick. „Ich habe es im Laufe der Jahre oft gesehen. Wenigstens den Anfang. Es ist also nicht schwer zu erraten.“ Ihr Lächeln wurde wehmütig. „Der weite Schnitt deiner Kleider und Röcke, dein Laufen zur Toilette. Und die Art, wie du das Kleine in diesem Moment beschützt.“
Kathryn schaute nach unten und sah, wie ihre Hand über der leichten Wölbung lag, von der sie gedacht hatte, sie wäre unter den Falten ihres Rockes gut versteckt. Sie lächelte und schüttelte den Kopf. „Und ich dachte, keiner wüsste es.“
Ein Schatten zog über Annabelles geschundenes Gesicht, und Kathryn hatte das Gefühl, sie könnte einen kurzen Blick in das verletzte Herz dieser Frau werfen. Dann wandte sie ihren Blick ab.
Annabelle räusperte sich und nickte zu dem Beutel auf dem Tisch. „Was hast du mir mitgebracht?“
Kathryn lächelte. „Blaubeerku …“
„Annabelle!“ Die Küchentür wurde aufgerissen. Eine andere Frau rannte atemlos herein. Ihr Spitzenmieder stand oben offen. „Komm schnell, es ist Sadie!“
Kathryn folgte Annabelle die Treppe hinauf. Sie schob sich durch eine Ansammlung von halb bekleideten Männern und Frauen, die auf dem Flur standen, bis sie in Sadies Zimmer kam. Sadie lag regungslos auf dem Bett. Ihr nackter Körper war halb in ein Laken gewickelt. Annabelle kniete mit aschfahlem Gesicht neben ihr.
Kathryn trat auf die andere Seite des Bettes, hob Sadies Handgelenk hoch und tastete nach ihrem Puls. Trotz ihrer Angst erfüllte sie eine gewisse Erleichterung. „Sie lebt. Hat irgendjemand gehört, was passiert ist?“
Die Brünette, die nach Kathryns erster Nacht im Bordell so lautstark ihr Missfallen geäußert hatte, lehnte sich an den Türrahmen. „Ihr nächster Kunde kam gerade herein und fand sie so vor. Ich habe vor einer Weile Conahan mit ihr unten gesehen, aber ich weiß nicht, ob er ihr nach oben gefolgt ist.“
Annabelles Hand zitterte, als sie das Laken hochzog, um Sadie zuzudecken.
Kathryn wischte die Haare aus Sadies zartem Gesicht. Auf Sadies glatter, brauner Haut glänzte der Schweiß, und ihr Atem war dünn. Jetzt, wo Kathryn mehr von ihr sehen konnte als nur ihre stark geschminkten, mandelförmigen Augen und ihre mit Rouge gefärbten Wangen, sah Sadie viel jünger aus. „Wie alt ist sie?“
„Dreizehn“, antwortete Annabelle.
Kathryn glaubte, sich übergeben zu müssen. Jemand reichte ihr ein kühles Tuch. Sie wischte damit über Sadies Stirn und Wangen und unter ihr Kinn. Sie zog die langen, dunklen Haarsträhnen zurück, die an Sadies Hals klebten, und dann sah sie es.
Hellrote Streifen leuchteten auf beiden Seiten von Sadies Hals und reichten bis in ihren Nacken. Jemand hatte sie gewürgt. Kathryn legte die Finger in die zarte Biegung an der rechten Seite von Sadies schlankem Hals und erschauerte.
Stumme Tränen liefen über Annabelles Wangen. Kathryn wollte ihre Hand berühren, aber sie zog sie weg. Schmerz, Verrat und Zorn verzerrten Annabelles blasses Gesicht. Sie biss die Zähne zusammen, um nicht noch mehr zu weinen, und doch bahnten sich die Tränen einen Weg, als gäbe es in Annabelle keinen Platz mehr, um den Schmerz unterzubringen.
Kathryns Herz floss über vor Erbarmen und Mitgefühl.
Die Verkommenheit, die sie hier, wenn auch nur kurz, gesehen hatte, hatte sich in ihrem Herzen für immer eingebrannt. Wie musste es erst für ein unschuldiges Kind sein, das in dieser Atmosphäre von Gewalt aufwuchs? Kathryn erinnerte sich an die Narben auf Larsons Rücken, die von einer glühenden Zigarre herrührten. Nachdem er in ihrer letzten gemeinsamen Nacht eingeschlafen war, hatte sie jede einzelne Narbe geküsst und dann wegen der Wunden in seinem Inneren geweint. Würde er Kathryn diese Wunden je berühren lassen? Wieder hatte sie sich gefragt, wie er die brutale Welt seiner Kindheit überlebt hatte.
Aber jetzt verstand sie ihn. Er hatte alles in sich hineingefressen. Jedes Bedürfnis, jedes Gefühl, alles, das als Waffe gegen ihn verwendet werden könnte, hatte er sich verboten. Aus einem
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