Die Rückkehr des Fremden (German Edition)
dringlicher, fast beschwörend. „Der Leichnam wurde stark in Mitleidenschaft gezogen. Zuerst durch die Kälte, dann durch das Tauwetter.“ Seine Stimme wurde leiser. „Und von … Tieren.“
Sie schloss die Augen, als sie sich Larsons Körper so furchtbar geschändet vorstellte – den Körper, an den sie sich geschmiegt und an dem sie sich so oft fest gehalten hatte. „Trotzdem, Mr Taylor …“, sagte sie leise, damit nur er sie hören konnte. „… ist es mein Mann, und ich will ihn ein letztes Mal sehen, bevor ich ihn begrabe.“
Nach einem langen Moment schwand die Entschlossenheit aus seinem Blick. Bevor er sie hineinführte, reichte er ihr ein Taschentuch. Sobald sie eintrat, begriff Kathryn, warum er das getan hatte.
Sie hielt sich das Tuch an die Nase und starrte den Toten auf dem Tisch ungläubig an. Das konnte doch unmöglich Larson sein. Ihre Augen betrachteten die zerrissene Kleidung und das verweste Fleisch. Ihr Magen zog sich zusammen.
Sie hielt seine Jacke immer noch in den Händen, als sie Larsons Stiefel auf dem Tisch sah.
„Mrs Jennings“, hörte sie eine Männerstimme leise neben sich sagen.
Kathryn drehte sich um. Sie hatte den grauhaarigen Herrn, der dort stand, nicht bemerkt. Sie vermutete, dass er der Bestatter war.
„Mein Beileid, Madam.“ Er reichte ihr langsam ein Bündel. „Diese Papiere wurden in der Nähe Ihres Mannes gefunden. Sie sind kaum noch lesbar, aber ich dachte, Sie wollen sie vielleicht behalten. Und da ist noch etwas. Ich habe es in seiner Jackentasche gefunden.“ Er hielt eine schlichte Metalldose in der Hand.
Mit einem schweren Schlucken nahm Kathryn die Dose und öffnete den Deckel. Tränen traten ihr in die Augen, als sie die Inschrift darin las. Sie sah den Schlüssel an der Seite und drehte ihn leicht, obwohl sie bezweifelte, dass irgendetwas passieren würde. Ihre Lippen zitterten, als eine blecherne Weihnachtsmelodie ertönte. Larson, du hast trotz allem daran gedacht …
Matthew Taylor trat näher, blieb kurz stehen und legte ihr dann eine Hand auf den Arm. „Es tut mir leid, Kathryn. Ihr Mann war ein guter Mann. An Weihnachten fiel sehr viel Schnee. In diesem Sturm hätte sich auch der beste Mann verirren können.“
Sie nickte. Aber wie konnte Larson tot sein? Sie fühlte ihn immer noch bei sich. In sich.
Der grauhaarige Bestatter drehte sich zu ihr um. Er deutete mit dem Kopf zur Leiche auf dem Tisch. „Dieser Mann starb nicht an der Kälte. Wenigstens war das nicht die einzige Todesursache.“ Sein Blick wanderte zu Matthew und dann wieder zu ihr zurück. Bedauern lag auf seinem Gesicht. „Es … es tut mir leid, Madam. Ich dachte, man hätte es Ihnen bereits gesagt. Auf ihren Mann wurde vor seinem Tod geschossen. Mitten in die Brust. Er fand zweifellos einen schnellen Tod, falls Ihnen das ein Trost ist.“
Kathryns Kinnlade fiel nach unten. „Aber, ich verstehe nicht …“
Der Blick, mit dem der Mann sie anschaute, verriet ihr unmissverständlich, dass auch er keine Antworten hatte. Und selbst wenn er welche hätte, würde er Larson damit nicht zu ihr zurückbringen.
Ihre Augen wanderten wieder zu dem Toten und dann zu seiner linken Hand. Sie wünschte nicht zum ersten Mal, er hätte ihr erlaubt, ihm einen Ehering zu kaufen. Sie schaute auf den schlichten Goldring hinab, der ihre linke Hand zierte, und fragte sich, warum etwas so Dummes in einem solchen Augenblick eine Rolle spielte.
Wie Matthew Taylor gesagt hatte, sah Larson nicht so aus, wie sie ihn in Erinnerung hatte. Und auch nicht so, wie sie es gewollt hätte. Kathryn wünschte fast, das grausame Bild könnte aus ihrem Kopf gelöscht werden, während sich die furchtbare Wahrheit immer tiefer in ihr Herz bohrte. Sie hatte alles verloren. Sie wandte sich zum Gehen.
In diesem Moment regte sich etwas in ihrem Bauch, und ihr stockte der Atem. Sie hatte doch nicht alles verloren.
Larson umrundete die Grenze von Willow Springs und begann, den Gebirgspass zu erklimmen. Er hoffte immer noch, Kathryn habe die Ranch behalten können. Larson wusste, dass Kathryn laut dem Kreditvertrag weiter in der Blockhütte wohnen konnte, bis die Bank das Land versteigerte. Mit dieser Hoffnung trieb er sein altes Pferd liebevoll um eine Felsgruppe und den bekannten Pfad zu seinem Zuhause hinab.
In der Vergangenheit hätte er ein altersschwaches Pferd keines zweiten Blickes gewürdigt. Aber er hatte nach ein paar Tagen seiner Wanderung in seinem Rucksack Geld gefunden, und damit hatte er sich die
Weitere Kostenlose Bücher