Die Rückkehr des Fremden (German Edition)
nahe. Aber hatte er nicht genau aus diesem Grund diese Stelle angenommen? Um ihr nahe zu sein?
Ja, aber nicht so nahe. Er wich eine Stufe zurück.
Jetzt stand er im Mondlicht, also bewegte er sich wieder nach vorne. Kathryn öffnete die Tür. Für einen Moment dachte Larson, er hätte sie aus dem Bett geholt.
„Miss Maudie hat mich gebeten, Ihnen die Truhe zu bringen.“ Seine Stimme klang heiser, und er schluckte.
Strahlen des fahlen Mondlichts fielen durch die Pappeln auf die Türschwelle, sodass er ihr Gesicht sehen konnte. Sie schaute ihn kurz an, dann wandte sie den Blick wieder ab. Das Haus hinter ihr war dunkel, besonders durch seine getönten Brillengläser. Ihre Haare waren zerzaust. Sie sah wunderschön aus.
Sie lächelte und zog die Tür auf. „Danke, dass Sie mir die Truhe gebracht haben. Wenn Sie sie bitte einfach dorthin stellen würden.“ Sie deutete zu einer Stelle neben dem kalten Ofen. „Ich kann die Sachen später ins Schlafzimmer bringen.“
Larson trat ein und war sich seines Humpelns schmerzhaft bewusst. Er versuchte, es zu vermeiden, aber er hatte an diesem Tag sehr schwer gearbeitet und ihm tat sein ganzer Körper weh. Kathryn hatte die Haustür weit aufgezogen und ließ sie absichtlich offen stehen, so als fürchte sie plötzlich um ihre Tugend. Als ob sie davon noch etwas übrig hätte! Ein bitterer, metallener Geschmack breitete sich bei diesem Gedanken in seinem Mund aus.
Die Vorhänge standen offen, und das Mondlicht spiegelte sich auf dem polierten Holzboden. Larson fand den Weg ins Schlafzimmer und brachte die Truhe hinein.
„Sir, ich habe gesagt, Sie können …“
Das Schlafzimmer war nett. Viel schöner als das Zimmer, das sie zehn Jahre lang miteinander geteilt hatten. Larson stellte die Truhe unter ein Fenster. Dann drehte er sich langsam um und sah sie über das Bett hinweg an, das auch noch eine Federmatratze hatte. Die Matratze war nicht mit Stroh gestopft wie die, die sie früher gehabt hatten. Er sah die zerknitterte Decke und die Eindrücke auf dem Bett. Sie hatte geschlafen oder sich wenigstens zur Ruhe gelegt.
Sie stand im Türrahmen und beobachtete ihn. Die Hände hatte sie sanft über ihrem unehelichen Kind gefaltet. Larson verzog bei seinen unfreundlichen Gedanken das Gesicht. Dann sah er etwas an ihrer linken Hand glänzen. Ihr Ehering. Zweifellos dachte sie, er würde ihrer Situation Glaubwürdigkeit verleihen.
Die Kühnheit, mit der er sie anschaute, überraschte ihn. Aber es war dunkel und der Mond stand in seinem Rücken. Erkannte sie ihn nach ihrer kurzen Begegnung letzte Woche? Teils hoffte er, sie würde ihn erkennen, doch noch mehr zog er es vor, unbemerkt im Hintergrund zu bleiben.
Sie deutete zu der Truhe. „Danke, dass Sie sie mir gebracht haben. Das war sehr nett von Ihnen, Sir.“
Larson hörte das Lächeln in ihrer Stimme. Es war dasselbe Lächeln, das sie unzähligen anderen Rancharbeitern heute Abend im Laufe des Essens geschenkt hatte. Obwohl die Mahlzeiten unter den Pappeln hinter dem Haupthaus serviert wurden, wollte er lieber in der Nähe des Stalls alleine essen. An seinem zweiten Tag auf Casaroja hatte er das mit Miss Maudie ausgehandelt und war dabei auf überraschend wenig Widerstand bei ihr gestoßen.
Miss Maudie besaß eine intuitive Art, die einerseits sein Vertrauen stärkte, ihn aber andererseits vorsichtig machte. Das hieß natürlich nicht, dass er sie für unehrlich hielt. Aber diese Frau konnte Menschen auf eine Weise durchschauen, wie er es bisher selten erlebt hatte. Und Larson konnte es sich nicht leisten, von ihr durchschaut zu werden.
„Es tut mir leid, dass ich …“ Kathryns Stimme war leise. Sie vermied es, ihn anzusehen. „Dass ich Sie vor ein paar Tagen fast umgelaufen habe.“
Sie erinnerte sich also doch. Warum sollte ihn diese dumme Kleinigkeit interessieren? Und warum zitterten seine Hände? Im Schutz der Dunkelheit musterte Larson seine Frau von Kopf bis Fuß und dachte an all die Gründe, warum er jetzt eigentlich durch diese Tür gehen und nie mehr zurückkehren sollte. Aber egal wie viele von Kathryns Sünden er in die Waagschale warf, wollte sie sich einfach nicht zu seinen Gunsten bewegen. Eine unsichtbare Hand schien sie im Gleichgewicht zu halten. Dieselbe Hand legte sich jetzt fest um sein Herz.
Er schritt aus dem Schlafzimmer und atmete bewusst ihren Duft ein, als er an ihr vorbeiging. „Gute Nacht, Madam.“
Er hörte nicht, wie die Haustür hinter ihm ins Schloss fiel. Larson fühlte,
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