Die Rückkehr des Fremden (German Edition)
sprach?
Gestern Nacht hatte sie das deutliche Gefühl gehabt, dass er nicht mit ihr im selben Zimmer sein wollte. Das verwirrte sie immer noch. Etwas an ihm zog sie an, genauso wie an jenem ersten Tag. Höchstwahrscheinlich war es Mitgefühl. Wenigstens hatte sie das anfangs gedacht. Aber als sie wach gelegen und sich an seine dunkle Silhouette im Mondlicht erinnert hatte, hatte sie herausgefunden, was es war.
Er erinnerte sie an Larson.
Nicht so sehr durch sein Äußeres. Es war mehr seine … Gegenwart. Und die Art, wie er sie anschaute.
Der Mann band die Stute an einen Pfosten, dann drehte er sich in ihre Richtung und rückte seine Brille zurecht. Er erstarrte.
Kathryns Augen wurden groß. Sie kam sich vor, als wäre sie dabei ertappt worden, wie sie ihm nachspionierte. Sie brachte ein leichtes Lächeln zustande, aber in diesem Moment drehte er sich schon wieder weg. Falls er sie gesehen hatte, ließ er es sich nicht anmerken. Sie hängte das nächste Laken über die Leine und beobachtete ihn verstohlen.
Er war kleiner und eindeutig älter als Larson. Er war mindestens fünfzig Pfund schmächtiger, und seine Figur könnte es nie mit Larsons muskulöser Statur aufnehmen. Und dann die Narben des armen Mannes …
Sie wand sich, als sie sich daran erinnerte, wie entsetzt sie gewesen war, als sie seine Narben das erste Mal im Tageslicht gesehen hatte. Kathryn zog das nächste Laken aus dem Korb. Ein dumpfer Schmerz pochte in ihrem ganzen Körper, und sie schloss kurz die Augen. Würde sie Larson immer so schmerzlich vermissen? Und war sie dazu bestimmt, ihn – oder die Eigenschaften, die sie an ihm geliebt hatte – ständig in anderen Männern zu sehen?
Als sie wieder hinschaute, streichelte der Rancharbeiter der Stute die Stirn. Das Pferd drückte sich näher an ihn und obwohl Kathryn nicht hören konnte, was der Mann sagte, bewegten sich seine Lippen, als rede er dem Tier gut zu. Er bückte sich und fuhr mit der Hand nacheinander über jedes Bein des Tieres. Als er sein linkes Hinterbein berührte, wieherte das Pferd, scheute und wich zurück. Er richtete sich auf und sah der Stute direkt in die Augen. Sie beruhigte sich und bewegte sich wieder auf ihn zu.
Er besaß so viel Sanftheit. Das war auch eine Eigenschaft, die Larson besessen hatte. Aber nicht in diesem Ausmaß … Was diesem Mann im Umgang mit Menschen vielleicht fehlte, das hatte er eindeutig im Umgang mit Tieren. Er ging zum Zaun und hob einen Striegelkamm auf. Das Hinken in seinem rechten Bein war jetzt nicht mehr so stark wie gestern Nacht.
Nachdem er ihr die Truhe gebracht hatte, hatte sie gesehen, wie er auf dem Rückweg zum Stall fast gestürzt war. Aber sie hatte es nicht gewagt, auf ihn zuzugehen, um ihm zu helfen, da er ihr Angebot sicher abgelehnt hätte. War es Stolz oder Bitterkeit oder vielleicht beides, das einen Menschen davon abhielt, Hilfe von anderen anzunehmen? Kathryn musste an Annabelle denken und konzentrierte sich wieder auf ihre Arbeit. Sie konnte weder Annabelle noch diesem sanften Mann das Wasser reichen. Obwohl sie in ihrem eigenen Leben mit Schwierigkeiten kämpfte, hatte sie einen solchen Schmerz wie diese beiden nie aushalten müssen. Wer konnte schon sagen, ob ihr Herz nicht genauso verbittert wäre, wenn sie etwas Ähnliches hätte ertragen müssen.
An diesem Nachmittag stieg Kathryn die Treppe in den zweiten Stock des Haupthauses hinauf und blickte durch den Gang zu den geschlossenen kunstvoll verzierten Doppeltüren. Mr MacGregors Schlafzimmer stand als Nächstes auf ihrer Liste, aber sie würde sich diesem Zimmer erst nähern, wenn sie absolut sicher sein konnte, dass Donlyn MacGregor nicht da war.
Sie hatte ein Küchenmädchen sagen hören, dass Mr MacGregor spät in der Nacht von seiner Geschäftsreise nach Hause gekommen war. Vielleicht bekäme sie heute Gelegenheit, mit ihm über sein Angebot, ihr zu helfen, zu sprechen.
Sie stellte ihren Eimer mit Putzmitteln ab und polierte den Rosenholztisch mit der Marmorplatte auf dem Treppenabsatz. Dann ging sie weiter durch den Gang. Sie sah in jedes der drei unbenutzten Gästezimmer, um sich zu vergewissern, dass alles in Ordnung war.
Miss Maudie hatte sie am Vorabend durch das Haus geführt. Das Haus war viel größer und luxuriöser eingerichtet, als Kathryn anfangs vermutet hatte. Die edlen klassischen Chippendale-Möbel, die mit geschwungenen Beinen und Klauenfüßen aus teurem Mahagoniholz versehen waren, standen dem Luxus im Haus ihrer Eltern in Boston in
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